Kummerkastenantwort 2.302: Ich trauere über meine verlorene Weiblichkeit
Hallo liebes Team,
ich bin afab und nicht-binär, habe manchmal aber sehr große Trauer darüber, meine Weiblichkeit verloren zu haben. Ich verliere mich manchmal in der Vorstellung, eine schwangere Frau mit dem Namen, der mir bei meiner Geburt zugewiesen wurde, und mit Brüsten zu leben. Diese Vorstellung habe ich schon seitdem ich 12 Jahre alt bin und sie gibt mir immer ein Gefühl von Wärme und Entspannung.
Dabei wünsche ich mir in Wirklichkeit eine Mastektomie; der Gedanke einer Schwangerschaft löst Dysphorie und Angst in mir aus und meine Zukunft stelle ich mir nicht so vor wie den zuvor geschilderten Gedanken. Das macht mich an manchen Tagen sehr traurig und ängstlich, da mein Ideal so weit weg liegt; ich so gerne eine Frau wäre und doch so viel Dysphorie dabei erlebe, als weiblich wahrgenommen zu werden.
Ich stehe wenige Wochen vor dem Outing in meiner Schule und das Nennen meines Deadnames bringt mich immer wieder zum Weinen, obwohl ich den weichen Klang dieses Namens doch eigentlich mag. Meine Brüste sind eigentlich auch so weich und schön, doch ich wünsche mir seit Jahren einen flachen Oberkörper und habe mich selbst schon aufgrund von ihnen selbst verletzt.
Ich frage mich schließlich, ob ich mir es einfach nicht erfüllen möchte, meine Ideal eines schönen Lebens als Frau auszuleben. Zudem bin ich manchmal sehr neidisch auf cis Frauen, weil ich denke, dass ich nicht einmal kann, eine Frau zu sein. Dabei erlebe ich Dysphorie, für die ich nicht verantwortlich bin.
Liebst,
Elian
Hallo Elian,
erstmal wollte ich dir sagen, dass das ein wirklich schöner Name ist!
Jetzt zu deinem Problem.
Es ist durchaus möglich, etwas schön zu finden, und es trotzdem nicht an sich selbst zu wollen. So geht es tatsächlich den meisten Menschen, mir eingeschlossen. Ich finde Brüste ganz wunderbar, und theoretisch finde ich auch meine eigenen Brüste durchaus attraktiv – aber an meinen Körper gehören sie einfach nicht. Da kann ich sie nicht genießen, da kann ich mich mit diesen Brüsten nicht wohlfühlen. Und das ist in Ordnung so. Man muss Dinge, die einem Dysphorie verursachen, nicht unbedingt hassen. Man darf sie auch lieben – und selbst, wenn man sie liebt, darf man sich dazu entscheiden, sich von ihnen zu verabschieden. Vielleicht hilft es dir, mit diesem Gedanken an die Sache heran zu gehen? Du musst dir keine Vorwürfe dafür machen, ambivalente Gefühle über deine Brüste zu haben. Du kannst vielleicht versuchen, den Abschied von ihnen, wenn es denn dann auf die Mastek zugeht, eher zu sehen, wie den Abschied von alten Freunden.
Dasselbe gilt für den Abschied von deinem Deadname. Ich kenne mehrere Menschen, denen es ähnlich geht. Für mich ist mein Deadname wie ein altes Lieblings-T-Shirt. Ich hab ihn ne zeitlang quasi immer und auch gerne getragen, aber mittlerweile bin ich einfach… rausgewachsen.
Jetzt noch zu Schwangerschaften: Ich weiß nicht, ob du es weißt, aber es gibt auch nicht-binäre und transmaskuline Menschen, die schwanger werden und ihre Kinder austragen. Hier findest du zum Beispiel eine sehr bewegende Bildersammlung dazu. Natürlich ist das mit Umwegen verknüpft und natürlich muss jede*r selbst für sich entscheiden, ob die dadurch entstehende Dysphorie für eine*n selbst erträglich ist. Aber nur, weil du nicht-binär bist, heißt das nicht, dass du nicht irgendwann schwanger sein kannst!
Und zuletzt: eine Frau sein ist nichts, dass man entweder kann oder nicht kann. Du bist gut so, wie du bist. Es ist sicher gesund, sich immer mal wieder mit seinem Geschlecht auseinander zu setzen und sich selbst auch Raum für Zweifel zu lassen, so wie du das machst. Aber du musst nicht mit Gewalt einem ‘Ideal’ nacheifern. Davon hat unsere Gesellschaft ohnehin viel zu viele, und die meisten Ideale sind in Wirklichkeit nicht so schön, wie man sie sich ausgemalt hat.
Ich wünsche dir alles Liebe!
Elias