Kummerkastenantwort 2.301: Wie bekomme ich psychologische Hilfe?

CN: In dieser Frager geht es um selbstverletzendes Verhalten

Hi,
ich (biolog. w) bin seit einiger Zeit vor meinen Freunden als pansex. und vor den engsten als non-binary geoutet.
Da das Geschlecht vor allem in der Pubertät eine immer wichtigere Rolle spielt, habe ich das Gefühl, ich solle mich auch bei meiner Mom outen. Diese ist allerdings homophob und hält nichts von Transgendern (da es ja nur ein vorübergehender “Hype” wäre). Deshalb weiß ich nicht, wie ich es ihr vorbringen soll.
Da ich mich (u.a. deswegen) ritze, droht sie mir immer, Psychologen zu Rate zu ziehen, da sie denkt, dass ich das nicht wolle (zieht es aber nie durch).
Ich würde allerdings gerne mal mit einer normalen Person über meine Probleme reden, da ich auch oft auf bspw. der Straße aufgrund meines Aussehens beschimpft werde, mich bei meiner Mom aber nicht über soetwas ausheulen kann.

Hey Du!

Also erstmal: das klingt, als wärst du grade in einer ziemlich schwierigen Situation. Ich kann mir vorstellen, dass das sehr anstrengend für dich ist!

Ich teile die Antwort auf deine Fragen mal in zwei Teile auf:

Die Situation mit deiner Mom.

Vorneweg: Es gibt keine Pflicht, sich bei irgendjemandem zu outen. Auch nicht bei Familienmitgliedern und schon gar nicht, wenn du weißt, dass die Menschen homo- und transfeindlich sind. Du musst deine Sicherheit nicht aufs Spiel stellen, nur, um dich zu outen!
Ich kann allerdings verstehen, wenn du dich trotzdem bei deiner Mom outen möchtest – wie du schreibst, ist die Sache bei dir ja aktuell auch (verständlicherweise) ein großes, wichtiges Thema und ich kann verstehen, dass du dich nicht gut damit fühlst, das deiner Mom vorzuenthalten.
Falls du dich also outen möchtest, möchte ich dir folgende Ratschläge ans Herz legen:

  • Sorg vor dem Outing dafür, dass du einen Safe Space hast, an den du dich mindestens für ein paar Stunden zurückziehen kannst, beispielsweise ein*e eingeweihte*r Freund*in, die*der dich aufnehmen kann
  • Versuch, dich vorher darauf einzustellen, dass es eventuell nicht sehr gut läuft und du von deiner Mom nicht ernst genommen wirst. Ein Coming-Out mit schlechten Reaktionen, gerade bei jemandem, der einem wichtig ist, kann sehr weh tun. Du schreibst, dass du ohnehin gerne psychologische Hilfe in Anspruch nehmen würdest – vielleicht lohnt es sich, mit dem Outing zu warten, bis du diese Hilfe hast. Dann bist du mit dem Ergebnis des Outings nicht allein.
  • Überleg, was genau du deiner Mom sagen willst. Eltern sind manchmal nicht sehr gut darin, ihren Kindern zuzuhören, insbesondere wenn die Kinder Dinge sagen, die sie gerade nicht hören wollen. Überleg dir, wie du dich vor ihr aussprechen kannst. Vielleicht kann auch ein Brief oder ein Stichpunktzettel helfen, damit du dein Coming-Out über die Bühne kriegst? Ein Brief gibt deiner Mom zusätzlich die Möglichkeit, sich in Ruhe mit dem Thema ausienander zu setzen, bevor sie dir gegenüber eine Antwort und Reaktion formulieren muss. Es bietet ihr aber natürlich auch die Möglichkeit, das ganze ‘einfach’ zu ignorieren.

Wie kommst du an psychologische Hilfe?

Für mich klingt es, als wäre es eine sehr gute Idee, wenn du psychologische Hilfe bekommst. Zu eine*m Psycholog*in/Psychater*in/Therapeut*in zu gehen, ist auch absolut nichts, wovor man Angst haben oder wofür man sich schämen muss!
Die Abläufe sind je nach Bundesland und Krankenkasse ganz leicht unterschiedlich, aber da geht es vor allem um kleingedrucktes, deswegen lass ich das mal außen vor. Entscheidend ist vor allem, ob du über 14 Jahre alt bist. Ich beschreibe mal beide Situationen:

Wenn du unter 14 bist, bist du medizinisch gesehen ‘nicht einwilligungsfähig’. Das bedeutet, dass du in den allermeisten Fällen die Einverständnis deiner Sorgeberechtigten (vmtl. deine Eltern) brauchst, um eine Therapie zu beginnen. Wenn du und deine Sorgeberechtigten sich nicht darauf einigen können, ob du eine Therapie anfängst, entscheidet der*die Therapeut*in, was für das Patient*innenwohl am besten erscheint.

Wenn du über 14 bist, bist du medizinisch gesehen ‘einwilligungsfähig’. Das bedeutet, dass du ohne Einverständnis (und auch ohne Wissen) deiner Sorgeberechtigten eine Therapie anfangen kannst. In vielen Fällen ist es trotzdem sinnvoll, deinen Sorgeberechtigten gegenüber diesbezüglich transparent zu sein. Du musst aber nicht.

Die Kosten für eine Therapie übernimmt in der Regel die Krankenkasse. Die Krankenkasse übernimmt außerdem eine festgeschriebene Zahl (meist 5) Vorab-Sitzungen, bei denen du und der*die Therapeut*in euch kennen lernt und evtl. eine Diagnose gestellt wird. Das ganze Antrags-Gedöhns und den Kontakt mider Krankenkasse übernimmt außerdem auch der*die Therapeut*in.

Einen Termin bei eine*m Kinder- und Jugendpsychotherapeut*in kannst du ‘einfach so’ ausmachen – du kannst also googeln, wen es da in deiner Nähe gibt, und da anrufen. Du kannst aber auch eine*n Erwachsene*n um Hilfe bitten: deine Mom, deine*n Kinderarzt*in oder (falls es so etwas an deiner Schule gibt) den*die Schulsozialarbeiter*in. Du brauchst keine Überweisung oder ähnliches für einen Ersttermin bei eine*m Therapeut*in.

Du kannst auch schauen, ob es bekannte queerfreundliche Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen in deiner Region gibt – dazu gibt es Listen im Internet, beispielsweise Queermed Deutschland.

Wenn du beim Ersttermin das Gefühl hast, mit der Person, die dir gegenüber sitzt, nicht klar zu kommen, kannst du übrigens auch nach eine*m anderen Behandler*in suchen. Du kannst bei deiner Krankenkasse nachfragen, wie viele verschiedene Praxen du ‘ausprobieren’ kannst.

Leider ist die Versorgung mit Kinder- und jugendpsycholgischen Praxen nicht so groß wie die Nachfrage.
Das bedeutet, dass du je nach Region vermutlich etwas rumtelefonieren und/oder eine gewisse Wartezeit wirst in Kauf nehmen müssen.

Bei akuten Krisen gibt es die Kinder- und Jugendnotfallambulanzen. Auch die findest du für deine Region auf Google. Es ist keine Schande, diese Angebote in Anspruch zu nehmen!

So. Ich hoffe, das hat dir erstmal weitergeholfen!

Falls etwas unklar ist oder du weitergehende Fragen hast, kannst du dich gerne wieder melden!
Und vielleicht magst du ja auch mal im Regenbogenchat vorbei schauen und dich mit anderen queeren Jugendlichen austauschen!

Liebe Grüße und ganz viel Glück!
Elias

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