Jake Daniels: Out im Englischen Männerfußball

Ein Gastbeitrag von Sportjournalistin Annika Becker, u.a. aktiv beim Podcast “Frauen reden über Fußball”.

„Ich weiß schon mein ganzes Leben lang, dass ich schwul bin, und ich fühle mich jetzt bereit für mein Coming Out, dafür ich selbst zu sein“, schrieb der 17-Jährige Fußballspieler Jake Daniels vom englischen Zweitligisten FC Blackpool in einem Statement, das der Verein am 16. Mai veröffentlichte.

30 Tore für sein Jugendteam, erster Profivertrag: Jake Daniels selbst sagt, dass es sportlich für ihn gar nicht besser hätte laufen können, aber neben dem Rasen habe er sein wahres Ich bisher versteckt. Und so teilte er seine Freude über sein Coming Out gegenüber Familie, Freund*innen und dem FC Blackpool.

Die Ankündigung seines Statements durch die „Seasiders“ in den sozialen Medien war unspektakulär: „Eine Nachricht von Jake Daniels“, twitterte der FC Blackpool – sie verbreitete sich schnell und bekam viel Aufmerksamkeit. Denn im Männerfußball ist ein öffentlich outer schwuler Spieler noch immer eine Besonderheit: Jake Daniels ist im Moment der einzige aktive Profispieler in Europa.

Vorbild Josh Cavallo

Als eines seiner Vorbilder nennt Daniels unter anderem den 22-Jährigen Josh Cavallo, der in Australien für den Verein Adelaide United spielt und seine Homosexualität im November 2021 öffentlich machte. Cavallo bekam ebenso wie jetzt Daniels viel Unterstützung zugesprochen, hatte Anfang des Jahres aber auch mit homofeindlichen Äußerungen im Rahmen eines Spiels zu kämpfen.

Vorgänger gab es bisher immer nur vereinzelt, der erste und bisher letzte geoutete aktive Spieler in Europa war Justin Fashanu mit einem Coming Out 1990. In den USA outeten sich 2013 Robbie Rogers und 2018 Collin Martin. Rogers war zu dem Zeitpunkt ohne Verein, bekam aber dann einen Vertrag bei LA Galaxy. Martin spielte damals für Minnesota United und ist inzwischen bei San Diego Loyal am Start.

Dass jetzt mit Cavallo und Daniels zwei noch so junge Spieler diesen Schritt relativ kurz hintereinander gegangen sind, wird allgemein als Zeichen für einen positiven Wandel gewertet. Aktivist*innen und Fußballfans hoffen auf eine breitere Welle, damit der Fokus von den einzelnen Personen genommen wird. Diese wurden oft selbst in eine aktivistische Rolle gedrängt. „Ich möchte selbst ein Vorbild sein“, schrieb Daniels in seinem Statement und deutet damit an, sich dieser Prozesse bewusst zu sein.

Laut einer YouGov-Umfrage anlässlich von Daniels‘ Coming Out erwarten die meisten Brit*innen „überwiegend positive“ Reaktionen durch Teamkollegen, Fans des jeweiligen Vereins und die breite Öffentlichkeit. Sorge bereitete den Umfrageteilnehmenden die Reaktion der Fans anderer Vereine, speziell beim Aufeinandertreffen im Stadion.

„Das Thema Schwulsein, Bi- oder Queer-Sein im Männerfußball ist immer noch ein Tabu. Ich glaube, es liegt daran, dass viele Fußballer für ihre Männlichkeit bekannt sein wollen. Und die Leute sehen Schwulsein als Schwäche an, etwas, wofür man auf dem Fußballplatz gehänselt werden kann“,

so Daniels im Interview mit Sky.

Unterstützung von allen Seiten

Auch die Rolle des Fernsehsenders ist nicht zu unterschätzen. Sky Sport UK war seit Beginn des Jahres in Daniels‘ Pläne eines öffentlichen Coming Outs eingeweiht und ließ ihm den gewünschten Raum für seine Geschichte.

Als erstes sprach Jake Daniels aber mit ihm nahen Menschen: „Ich habe es meiner Mutter und meiner Schwester erzählt. Am Tag danach spielten wir gegen Accrington und ich machte vier Tore. Ich glaube, das zeigt, was für eine Last von meinen Schultern fiel, es war eine riesige Erleichterung“, erzählte Daniels über seine Entscheidung.

Auch seine Teamkollegen und der FC Blackpool wussten vor der öffentlichen Bekanntgabe Bescheid und unterstützen Daniels auf dem Weg, seine Geschichte selbstbestimmt zu erzählen. Der Verein arbeitete dafür neben der Professional Footballers Association (PFA) mit Stonewall UK zusammen, der größten Organisation für die Rechte von LGBTQIA+ Menschen in Großbritannien.

Stonewall arbeitet auf vielen thematischen Ebenen, ist innerhalb des Sports und vor allem im englischen Fußball bekannt für die „Rainbow Laces“ Kampagne. In Zusammenarbeit mit den englischen Ligen gibt es jede Saison Aktionswochen, während derer die Spieler*innen teilnehmender Vereine mit Schnürsenkeln in Pride-Farben auflaufen. Es soll Sichtbarkeit und ein Raum für Akzeptanz geschaffen werden. Andererseits gibt es aber auch Kritik, dass solche Aktionen nicht über ihren Symbolcharakter hinaus gehen.

Pink- und Sportswashing

Zumal das Fußballbusiness ein komplexes Geflecht ist: Kapitalistische Interessen, Werte mancher Vereine, Spieler*innen und Fans sowie Pink- und Sportswashing Methoden, die das auszunutzen wissen, fallen hier zusammen. Zu Daniels‘ vielen Gratulant*innen gehörten neben Jürgen Klopp, Ian McKellen, Pernille Harder und ihrer Partnerin Magdalena Eriksson u.a. auch die FIFA, Newcastle United und der britische Premierminister Boris Johnson.

Die FIFA organisiert diesen Winter die Fußballweltmeisterschaft der Männer in Katar, einem Emirat, das international für seine homo- und queerfeindliche Gesetzgebung bekannt ist. Newcastle United gehört seit Oktober 2021 einem Konsortium unter der Führung der Regierung Saudi-Arabiens, das eine ähnliche Politik betreibt wie Katar.

Premierminister Boris Johnson äußerte sich erst im vergangen April queerfeindlich. Außerdem kündigte die britische Regierung an, dass ein lang anstehendes Gesetz, das sogenannte Konversionstherapien verbieten soll, sich nur auf die sexuelle Orientierung beziehen werde. Im jährlichen ILGA-Europe-Report, der die rechtliche Situation queerer Menschen in europäischen

Ländern miteinander vergleicht, ist Großbritannien auch in diesem Jahr weiter gesunken. Nach dem ersten Platz im Jahr 2015 befindet sich das Vereinigte Königreich nur noch auf dem 14. Platz.

Situation in Deutschland

Im deutschen Männerfußball gibt es aktuell keinen outen aktiven Spieler, Thomas Hitzlsperger war hier der letzte Fußballer, der sich nach seiner Spielerkarriere als schwul outete. Im Frauenfußball ist die Situation anders. Einerseits stehen die Spielerinnen viel weniger im medialen Fokus, weil der Sport nicht genügend Aufmerksamkeit bekommt, andererseits erzählen Spielerinnen, dass innerhalb der Teams ein offener Umgang mit Sexualität normal ist.

Nationalspielerin Lea Schüller erzählte z.B. im Interview mit Sky von ihrer Beziehung mit der österreichischen Sportseglerin Lara Vadlau. Jacqueline Meißner gratulierte die gesamte Liga zu ihrer lesbischen Hochzeit. Spielerinnen, die bewusst als Rolemodels auftreten und in die Öffentlichkeit gehen, sich vielleicht auch mal weniger angepasst an das Heteronormative präsentieren, sind allerdings in Deutschland schwer zu finden.

Positiv ist, dass es seit Anfang 2021 durch eine Kooperation des DFB mit dem LSVD eine erste Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Fußball gibt. Es geht um Aufklärungsarbeit zum Beispiel durch Schulungen für Trainer*innen, Schiedsrichter*innen oder auch Fans. Es gibt das Netzwerk der Queer Football Fanclubs, die zum Teil eng mit ihren jeweiligen Fußballvereinen zusammenarbeiten, über ihre Seite findet man außerdem am einfachsten den queeren Fanclub beim eigenen Herzenszverein.

Zwar außerhalb Deutschlands, aber mit internationaler Ausrichtung und immer wieder auch spannenden Online-Veranstaltungen sind außerdem noch die Initiative Football v Homophobia und das Fare Network zu nennen.

Insgesamt hat sich der deutsche Fußball dem Thema Homosexualität in den letzten Jahren etwas geöffnet und auch dazugelernt, ist aber längst noch nicht auf einem wünschenswerten Level angekommen (in Sachen geschlechtlicher Vielfalt ist der Nachholbedarf noch sehr viel höher).

Wenn man da die Berichterstattung typischer Sportmedien miteinbezieht, hat sich auch dort bei der Herangehensweise an queere Themen schon einiges verändert, auch wenn es immer noch schiefe Formulierungen in manchen Artikeln gibt (können wir das mit dem „bekennen“ bitte mal sein lassen?). Es wird immerhin nicht mehr aktiv nach schwulen Spielern gesucht, aber so ein bisschen Sehnsucht, die nicht aus Empathie oder queerer Freude, sondern Sensationslust entstanden scheint, gibt’s hier und da immer noch.

Überhaupt fehlen so oft die Freude und ihre Darstellung in den öffentlichen Debatten, das und viel mehr hat Laura hier im Blog schon letztes Jahr anhand der 11Freunde-Aktion „Ihr könnt auf uns zählen!” erklärt. Gerade deswegen ist es so schön, Jake Daniels‘ Freude nach seinem Coming Out zu sehen. Er sagt:

„Ich hoffe, dass ich durch mein Coming Out ein Vorbild sein kann, um anderen zu helfen, sich zu outen, wenn sie das wollen. Ich bin erst 17, aber ich bin mir sicher, dass ich das tun will. Wenn andere Menschen mich sehen und denken, dass sie das auch können, wäre das großartig. Ich hasse es zu wissen, dass Andere in der gleichen Situation sind wie ich.“

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