Kummerkastenantwort 4.336: Wie kann ich mit meiner Dysphorie umgehen?
Hallo, ich zweifle seit meiner frühen Kindheit an meiner Geschlechtsidentität. Nun werde ich schon bald 19. Ich hatte mal schlimmere Dysphorie als zurzeit, aber ich glaube, ich bin einfach nur dissoziiert. Kann das sein? Hat jemand von euch Erfahrungen damit? Generell habe ich Angst, dass ich “nur” dissoziiert bin oder dass mein Autismus “schuld” an meinen Gefühlen ist. Zeitweise hat mich meine Dysphorie richtig krank gemacht. Ich wusste nicht, was ich anziehen soll, weil ich mich immer unwohl gefühlt habe. Präsentiere ich mich weiblich, fühlt sich das falsch an; zeige ich mich männlich, schäme ich mich und finde mich lächerlich. Das Gleiche gilt für ein geschlechtsneutrales Auftreten. Das ging so weit, dass ich “beschlossen” habe, einfach ein Mädchen zu sein (bin afab).
Ich habe so Angst, Fehler zu begehen und traue mich nicht einmal, mich auszuprobieren, was Kleidung, Namen etc. betrifft, denn wenn ich das einmal rückgängig machen wollen würde, könnte ich damit nicht leben. Ich werte mich auch sehr stark für Gedanken wie “Ich habe bestimmt einfach nur irgendeine Persönlichkeitsstörung und kann daher kein stabiles Selbstbild entwickeln” ab. Ich war zudem noch nie in einer Selbsthilfegruppe, weil ich Angst habe, beeinflusst zu werden. Ich bin nicht-binär, aber was das für meinen Weg bedeutet, weiß ich leider nicht. Ich verzweifle daran, dass man als nicht-binäre Person nicht stealth sein kann. Zu guter Letzt könnte ich mich auch darum niemals outen, weil ich nicht auffallen möchte. Ich bin oft wütend auf mich selbst, weil ich Menschen abwerte, die z. B. grüne Haare haben, obwohl mir das natürlich nicht zusteht. Ich möchte bloß ungern als “special snowflake” gesehen werden. Ich kann aber nicht die mediale Darstellung von nicht-binären Personen beeinflussen… Was sagt ihr dazu?
Gruß
xxx (Ich hätte gern einen unisex-Namen, aber viele Namen, die ich mag, sind laut manchen Websites doch nicht neutral – und zu meinem Nachnamen passen meine Lieblingsnamen auch nicht).
Hallo,
Du musstest sehr lange auf eine Antwort von uns warten. Das tut uns leid. Das klingt wie ne wirklich schwierige, anstrengende Situation
Das Problem ist: sein Geschlecht kann man sich nicht aussuchen, so gerne man einfach “beschließen” würde, einfach ein Mädchen zu sein, das funktioniert nicht und langfristig wird man dabei auch nicht glücklich, das haben viele versucht und sind dabei eigentlich alle früher oder später gescheitert. Realistisch betrachtet wirst du dich vermutlich erst dann besser fühlen, wenn du lernst, dich selbst zu akzeptieren – und dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass du eben nicht “einfach ein (gewöhnliches) Mädchen” bist. Das ist verdammt schwer, vor allem, wenn man von klein auf eingetrichtert bekommen hat, das auffallen etwas negatives wäre.
Aber das Ding ist: Auffallen ist nichts inhärent negatives oder schlechtes. Und auffällig zu sein ist auch nichts inhärent negatives oder schlechtes. Du kannst nicht beeinflussen, wie die Leute um dich herum dich wahrnehmen und bewerten aber du kannst beeinflussen, wie du selbst dich wahrnimmst und bewertest.
Wenn eine Selbsthilfegruppe für dich nicht in frage kommt, hast du vielleicht schonmal über eine Einzeltherapie nachgedacht? Ein*e gute*r Therapeut*in versucht in der Regel auch nicht, dich in irgendeine Richtung zu beeinflussen, sondern hilft dir, deine eigenen Wünsche stärker wahrzunehmen, und selbstbewusst deine eigenen Entscheidungen treffen zu können
Und was unisex namen angeht: die meisten Menschen haben zu “Unisex”-Namen erstmal ein Geschlecht im Kopf, in der Regel das Geschlecht der Person, an der sie den Namen das erste mal gehört haben. Daran kann man nichts machen, und es bedeutet auch nicht, dass diese Namen nicht unisex sind.
Liebe Grüße und viel Glück auf deinem Weg
Elias
Hi,
ich glaube, ich erkenne mich selbst in einigen Punkten wieder.
Ich habe auch extreme Probleme damit, “aufzufallen”, Fehler zu machen oder generell laut auszusprechen, wie ich mich geschlechtlich fühle/bezeichnet oder genannt werden will (bin 19, auch afab nicht-binär, meine Therapeutin vermutet Autismus).
Ich glaube, der Tipp mit einer Einzeltherapie ist sehr gut, das hat mir auch viel geholfen, und auch, wenn es nur darum geht, diese Gedanken laut auszusprechen!
Ich kenne es, dass es oft schwierig ist, zu differenzieren, was ich eigentlich will und was ich nur will, weil ich Angst habe/denke, etwas wäre falsch.
Ich glaube, es wäre zum Beispiel wichtig, zu klären:
Was willst DU, ganz unabhängig von der Außenwelt? Wie würdest du sein wollen, gäbe es niemanden, der dich verurteilen könnte, gäbe es kein “Richtig” und “Falsch”?
Oder auch, was ist für dich “Auffallen” und in welcher Hinsicht/warum ist es negativ?
Ich wünsche dir viel Glück auf deinem Weg und den Mut und das Selbstbewusstsein, authentisch die Person zu sein, die du bist!