Buchrezension: ‘Queergestreift’
Hallo, hier ist mal wieder Annika aus dem Queer Lexikon Team. Ich lese immer noch gerne Bücher – und stelle euch heute wieder ein queeres Buch vor. “Queergestreift. Alles über LGBTIQA+” von Kathrin Köller und Irmela Schautz ist 2023 erschienen. Das Buch hat ca. 280 Seiten und hat den deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie ‘Sachbuch’ gewonnen. Im Buch gibt es sieben ausführliche Kapitel; jeweils eins zu Lesbisch-Sein, Schwul-Sein, Bi- und Pansexualität, Transgeschlechtlichkeit und Nicht-Binarität, Intergeschlechtlichkeit, Queer-Sein und Asexualität bzw. Aromantik. In jedem Kapitel werden die Label vorgestellt, es finden sich Interviews mit Menschen, die diese Label verwenden, es werden queere Promis vorgestellt, Link-Tipps gegeben und vieles mehr. Die Autor*innen beschreiben als Ziel für das Buch, dass es Hürden abbauen, den Blick für Vielfalt öffnen, Lust auf Wissen machen und Aufklärung zu sozialen, rechtlichen und gesundheitlichen Themen schaffen soll.
Was mir gut gefallen hat
Eins vorneweg: Das Buch ist wunderschön und sehr aufwändig gestaltet. Es versammelt außerdem viele wichtige Informationen und ist zugänglich geschrieben. Es gibt einige ausführliche Interviews mit queeren jungen Menschen, die über ihre Label, ihre Selbstfindung, ihr Coming Out etc. erzählen und Interviews mit verschiedenen Expert*innen und damit nicht nur theoretische Texte, sondern viel Abwechslung. Besonders gut hat mir das Interview mit einem trans Jungen und seiner Mutter gefallen, die über Coming Out in der Familie erzählen. Die Sprache rund um sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt und Queerness kann ganz schön komplex sein. Im Buch finden sich viele kleine Begriffserklärungen am Rand, damit die Texte für alle Menschen verständlich bleiben. Auch das hat mir gut gefallen. Gut finde ich auch, dass sehr ausführlich über verschiedene Transitionsschritte informiert wird.
Was nicht so gelungen ist
Wer genau die Zielgruppe für das Buch ist, ist mir nicht ganz klar geworden. Vermutlich sind es queere junge Menschen ‒ allerdings wechselt die Ansprache teilweise von Satz zu Satz. Mal richten sich die Hinweise und Tipps an queere junge Menschen, mal an ihre Verwandten und Verbündeten, mal an Lehrkräfte. Das ist zum Lesen manchmal verwirrend. Für Verbündete und Angehörige gibt es an einigen Stellen Checklisten, die aber nicht weiter gerahmt werden. Was also passiert oder was es aussagt, wenn eins manche Dinge darauf (nicht) ankreuzen kann, damit werden Leser*innen alleine gelassen. Die Sprache ist außerdem krampfhaft jugendsprachlich ‒ die Autor*innen sind aber eindeutig keine Jugendlichen. Das macht es stellenweise ganz schön cringe zu lesen (wenn ich das mit 31 Jahren noch sagen darf…) und führt manchmal zu unsensiblen Definitionen und Bemerkungen.
Das Buch ist in sieben Kapitel geteilt, die jeweils ein bis zwei Label erklären (trans und nicht-binär werden bspw. zusammengefasst). Ich finde es gut, dass jedem Label Raum gegeben wird und dass jedes Label Aufmerksamkeit erfährt. Aber so werden Unterkapitel und Themen, die für alle oder viele queere junge Menschen relevant sind in Unterkapiteln versteckt, die diese ggf. gar nicht lesen. Beispielsweise finden sich die Tipps zu Coming Out im Kapitel “Gay”, und Inhalte dazu, wie das mit der Labelsuche funktioniert im Kapitel zu Bi- und Pansexualität. In den anderen Kapiteln wird dann auf diese Themen kaum noch eingegangen. Dagegen gibt es im Kapitel zu Queer keine spezifischen Informationen zu diesem Label, sondern z. B. zu Intersektionalität und zu Schüler*innenaustauschen. Das ist ein bisschen verwirrend. Es wird sich also in der Struktur des Buchs am englischen Akronym LGBTIQA+ festgehalten, auch wenn das zu einigen Problemen führt. Wieso denn auch eigentlich das englische und nicht das deutsche Akronym? Und wieso gibt es also nicht neben den Kapiteln zu spezifischen Labeln einen allgemeinen Teil für alle? Dazu kommt, dass jedes Label eine eigene Liste mit Anlaufstellen und Links bekommt – das Queer Lexikon wird beispielsweise nur in Bezug auf Transgeschlechtlichkeit erwähnt, Lambda e.V. nur in Bezug auf Bi- und Pansexualität; dabei sind beide Anlaufstellen für alle queeren jungen Menschen.
Im Buch werden viele englische Begriffe (insbesondere für Label) verwendet. Warum nicht einfach Begriffe verwendet werden, die im Deutschen geläufig sind (wie z. B. “schwul” statt “gay”) wird leider nicht erklärt. Damit werden auch einige Begriffe, die vor allem im deutschsprachigen Raum genutzt werden, unsichtbar gemacht. Das ist schade. Auch sind einige der Interviews mit jungen queeren Menschen nicht mit Jugendlichen aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz, sondern aus anderen Ländern. Die Vielfalt der queeren Community sichtbar zu machen finde ich super, aber es geht im Buch ja um den spezifischen deutschsprachigen Kontext, der über diese Interviews dann nicht so gut abgebildet werden kann.
An einigen Stellen im Buch wirkt es so, als würden beispielsweise alle lesbischen Menschen in Bezug auf ihr Coming Out und ihre Familie die gleichen Erfahrungen machen. Es wird wenig offengelassen, dass das Verhältnis zur Familie, der Coming Out Prozess, die Lebenssituation von allen queeren Menschen unterschiedlich ist.
Fazit
Das Buch ist ganz sicher nicht perfekt – aber vermutlich ist es auch unmöglich, ein perfektes Buch über sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt zu schreiben und der ganzen Community, allen Begriffen und allen Bedürfnissen junger queerer Menschen gerecht zu werden. Aber das Buch macht schon vieles richtig und kann ein guter Einstieg für Menschen sein, die vielleicht grade feststellen, dass sie queer sind und mehr dazu wissen wollen. Gerade für (Schul-)Bibliotheken ist dieses Buch sicher eine sinnvolle Anschaffung!