Kummerkastenantwort 368: Bin ich asexuell oder fraysexuell?
In dieser Frage geht es um Sex und Masturbation. Das sind an sich keine schlimmen Themen und wir finden, das sollte kein Tabu sein – trotzdem ist es nicht immer und nicht für alle Menschen einfach, darüber zu lesen. Achte auf dich und gehe so mit dieser Frage um, wie du es gerade brauchst.
Hallo,
Ich bin 20 Jahre alt und definiere mich selbst als weiblich und bisexuell.
Seit kurzem hinterfrage ich aber einen weiteren Teil meiner Sexualität. Mir ist schon früh aufgefallen, dass ich an Sex nicht wirklich Spaß habe. Ich habe keine Schmerzen oder ähnliches aber meistens will ich es nur schnell hinter mich bringen und habe maximal 1 Minute Spaß.
Das allein hätte mich ja zur Asexualität gebracht aber das Ding ist , ich empfinde sexuelle Attraktion und auch manchmal das Bedürfnis Sex zu haben, nur wenn der Akt selbst beginnt bin ich irgendwie nicht mehr so enthusiastisch.
Masturbation ist auch kein Problem, ich kann mich mühelos zum Höhepunkt bringen und das gefällt mir dann auch, es ist aber weniger so dass ich das verlangen danach verspüre und mehr so dass es halt gerade zeitlich reinpasst nach der Devise „Warum nicht?“
Ich dachte, vielleicht bin ich Fraysexuell aber das Problem habe ich eigentlich bei jedem Sexualpartner, egal wie lange ich die Person kenne oder wie eng unsere Bindung ist. Es kommt mir vor die einzige Person die meine Erregung anständig verarbeiten kann bin ich selbst.
Bitte helft mir , ich weiß wirklich nicht weiter.
Hallo du,
mit der sexuellen Anziehung ist das so eine Sache – es ist schwer zu definieren, was überhaupt sexuelle Anziehung bedeutet und mir stellt sich auch immer wieder die Frage, ob sie für alle Leute das gleiche bedeuten muss oder kann. Und dann frage ich mich auch immer wieder, wofür Labels für Sexualitäten eigentlich da sind.
A_sexuell – das passende Label?
Du schreibst, du empfindest zwar sexuelle Anziehung, aber dass Sex dir nicht wirklich Spaß macht und dass du es meist schnell hinter dich bringen willst. Zwar ist Asexualität meist definiert als „keine sexuelle Anziehung empfinden“, aber vielleicht ist es trotzdem sinnvoll für dich, diesen Begriff für dich zu verwenden – das Ergebnis ist ja das gleiche, nämlich, dass du nicht unbedingt scharf auf Sex bist. Wenn du also den Eindruck hast, das Label „asexuell“ ist für dich hilfreich, um dich zu beschreiben, könntest du es z.B. trotzdem verwenden und vielleicht einfach die Definition ein bisschen für dich anpassen.
Du kannst dich außerdem noch fragen, ob du tatsächlich sexuelle Anziehung empfindest, oder nur ein Bedürfnis nach sexueller Befriedigung hast, das nicht unbedingt von anderen Personen abhängt. Für viele asexuelle Menschen ist es hilfreich, das voneinander zu trennen – das eine ist sexuelle Anziehung, das andere ist die sogenannte Libido. Viele asexuelle Menschen haben eine Libido (sie empfinden also sexuelle Erregung), aber keine sexuelle Anziehung zu anderen Menschen.
A_sexualität als Spektrum
Ich kann aber auch verstehen, wenn dir das nicht passt, und wenn es z.B. wichtig für dich ist auszudrücken, dass du eben manchmal sexuelle Anziehung empfindest. Wir betrachten A_sexualität als ein Spektrum (und schreiben es deshalb auch oft mit Unterstrich, um zu zeigen, dass es eben mehr gibt als nur die zwei Optionen „gar keine sexuelle Anziehung empfinden“ oder „grundsätzlich sexuelle Anziehung empfinden“). Auf diesem Spektrum gibt es verschiedene Begriffe, mit denen du dich vielleicht eher identifizieren kannst.
Fraysexuell ist einer davon – dieser Begriff ist für Menschen, die sexuelle Anziehung empfinden, die aber wieder weggeht, wenn eins das Gegenüber, zu dem Anziehung besteht, besser kennenlernt. Weil du aber selbst schreibst, dass bei dir die Anziehung nicht wirklich davon abhängt, wie gut du deine Partner*innen kennst, ist das vielleicht nicht der passendste Begriff für dich.
Weitere Labels aus dem Spektrum
Eine andere Option ist auch der Begriff Lithsexualität. Lithsexuell sind Menschen, die zwar sexuelle Anziehung empfinden, die aber weggeht, „wenn es ernst wird“, also z.B. wenn die andere Person die sexuelle Anziehung erwidert und/oder wenn es tatsächlich zum Sex kommt.
Oder falls es das auch nicht ganz trifft, könnte der Begriff graysexuell hilfreich sein. Als greysexuell bezeichnen sich Leute, die nur manchmal oder nur unter bestimmten Umständen sexuelle Anziehung empfinden – in deinem Fall z.B. immer nur vor dem Sex und nicht währenddessen.
Was du jetzt tun kannst
Welches dieser Labels das passende für dich ist, kannst du letztlich nur selbst entscheiden. Vielleicht wäre es auch gut, mit deinen (Sexual-)Partner*innen darüber zu reden. Wahrscheinlich ist es für alle Beteiligten nicht so sinnvoll, wenn du Sex einfach nur über dich ergehen lässt. Wenn ihr darüber redet, könnt ihr vielleicht gemeinsam rausfinden, was eure Optionen sind. Vielleicht gibt es ja bestimmte Dinge, die für dich beim Masturbieren besonders gut funktionieren, die dir aber beim Sex mit anderen Personen fehlen? Oder vielleicht ist es dir ja auch lieber, den Sex (vorerst?) ganz wegzulassen in deinen Beziehungen?
Ganz gleich, für welches Label du dich entscheidest: Ich hoffe, du findest eine Möglichkeit, dich auszudrücken und einen respektvollen Umgang mit dem Thema Sex. Ich wünsche dir, dass du bald herausfindest, was gut und richtig für dich ist. <3
Alles Liebe,
Balthazar