Kummerkastenantwort 671: Welches Geschlecht habe ich?

Hey, ich bin in der Selbstfindungsphase und bräuchte echt einfach ein wenig Hilfe es ist einfach so kompliziert

Ich bin ein Mädchen, 13 Jahre, habe aber eine Reife von ca 16.

Ich überlege schon seit einem Jahr, was genau ich jetzt eigentlich bin.
Ich habe schon als kleines Kind Kleider gehasst und hab auch nur mit Autos gespielt. Meine Freunde waren überwiegend männlich und meine Interessen waren auch eher männlich (Fußball, etc.).
Bis heute ziehe ich nur Jungsklamotten an also naja das stimmt nicht so richtig ich hatte bis vor kurzem noch lange Haare und habe halt Mädchen Sachen angezogen damit es wenigstens ein bisschen schön aussah. Ich habe mittlerweile kurze Haare und ich fühle mich um einiges wohler in meinem Körper, aber manchmal ekele ich mich weil ich halt Brüste und so habe. Ich will das nicht haben aber ich will auch wiederum keinen Penis haben. Ich würde gerne Testosteron nehmen aber halt wie gesagt keinen Penis haben. Ich finde es mittlerweile nicht schlimm „sie“ genannt zu werden weil ich es halt gewöhnt bin aber „er“ ist mir manchmal einfach viel viel lieber. Wenn ich meine Tage habe liege ich einfach durchgehend im Bett außer halt Schule weil es mich einfach schafft meine Tage zu haben. Ich habe viele Online Freunde und ich hab mich auch manchmal als junge ausgegeben und ich fand das auch echt angenehm 🥰 ich sehe halt einfach nicht durch was ich genau bin…

Könnt ihr mir helfen?

Hallo du,

es gibt sehr viele Arten und Weisen, du selbst zu sein. Wie schön, dass du dir die Zeit nimmst, dich mit dir selbst zu beschäftigen und dich zu fragen, wer du bist und was du möchtest! Das ist ein toller und wichtiger Schritt! Ich bin stolz auf dich.

Wer oder was du nun genau bist, das kannst am Ende nur du selbst sagen. Aber ich versuche gerne zu helfen und ein paar Denkanstöße zu geben.

Trans Junge?

Du schreibst sehr viel von männlichen Interessen und männlicher Kleidung und dass dir das alles schon eigentlich immer mehr gefällt. Auch, dass es sich richtiger anfühlt als lange Haare, Kleider usw. Klar gibt es auch Mädchen, die lieber kurze Haare haben und Fußball mögen und keine Kleider tragen. An diesen äußerlichen Sachen allein lässt sich noch nicht viel festlegen. Aber dieses Gefühl in dir drin, das in dir steckt und dich zu all diesen männlichen Sachen hinzieht – das ist, was zählt. Und vielleicht bedeutet dieses Gefühl, dass du ein Junge bist.

Es gibt keine eine richtige Art und Weise, ein Junge zu sein, und auch keine, ein trans Junge zu sein. Laut unserer Definition ist die Gemeinsamkeit von trans Jungen, dass sie alle Jungs sind, und eben nicht das Geschlecht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde (in deinem Fall Mädchen). Aber alle Jungen, ob trans oder cis, können sich anziehen, wie sie wollen, können ganz verschiedene Hobbies haben, und hey, auch ganz verschiedene Körper.

Hormone? Brüste? Genitalien?

Du schreibst, dass du deine Brüste nicht magst, aber keinen Penis haben willst. Das ist okay! Nicht alle Jungen und Männer haben einen Penis, und du brauchst keinen, um ein Junge zu sein. Auch, ob du Testosteron willst oder nicht, bleibt ganz alleine deine Entscheidung. Hier kannst du mehr darüber lernen, was Testosteron mit deinem Körper macht, falls du dich informieren möchtest.

Gibt’s noch was anderes?

Wenn du nun doch das Gefühl hast, dass “Mädchen” zwar nicht passt für dich, aber “Junge” dich auch nicht so richtig beschreibt, keine Sorge. Auch damit bist du nicht alleine: Es gibt viele Menschen, die nicht, nicht nur, oder nicht zu 100% männlich oder weiblich sind. Diese Menschen benutzen oft das Wort “nichtbinär” für sich. Nichtbinär ist ein Überbegriff für ganz viele andere Geschlechter. Vielleicht lohnt es sich ja für dich, mal in unser Glossar zu schauen – da haben wir ganz viele dieser Geschlechter aufgelistet und erklärt. Einen Begriff möchte ich jetzt direkt rauspicken, weil er ein bisschen zu dem passt, was du beschreibst:

Demiboy

Ein Demiboy oder Demijunge ist ein Mensch, der zwar schon irgendwie männlich ist, aber nicht zu 100%. Das kann alles mögliche bedeuten und ist für jede demimännliche Person ein bisschen anders. Vielleicht bedeutet es, dass du dich schon als maskulin/männlich beschreiben würdest, aber dass es ein paar Sachen an Männlichkeit gibt, die dir nicht zusagen und die einfach nicht auf dich zutreffen. Vielleicht bedeutet es auch, dass du sehr viele männliche Anteile in dir spürst, aber das Gefühl hast, da ist auch noch mehr in dir drin – vielleicht irgendwas, was sich nicht so leicht in die Kategorien ‘männlich’ und ‘weiblich’ stecken lässt. Oder vielleicht bedeutet es nochmal was ganz anderes für dich.

Und was jetzt?

Mein Ratschlag ist fast immer: Rede mit anderen Menschen darüber, dass dich das beschäftigt. Und juhu, indem du uns geschrieben hast, hast du diesen Schritt schon gemeistert! Mit anderen über dieses Thema zu reden kann dir helfen, deine Gedanken zu sortieren und dich mit dem Thema wohler zu fühlen. Vielleicht gibt es ja Familie oder Freund*innen, denen du vertraust? Vielleicht möchtest du dich gerne mit Leuten im Internet oder einer queeren Jugendgruppe austauschen? Oder vielleicht schreibst du lieber erstmal Tagebuch oder einen Brief an dich selbst, wenn du noch nicht bereit bist, dich anderen Menschen anzuvertrauen. (Auch das ist natürlich vollkommen okay. Du musst nichts überstürzen.)

Falls du dich traust: Probier’ dich einfach weiter aus! Sei es mit Kleidung oder anderen äußerlichen Dingen, vielleicht mit einem anderen Namen und mit “er”-Pronomen (wie du schon selbst gemerkt hast, kann das Internet ein guter und recht sicherer Ort dafür sein), oder mit allem, was dir sonst noch in den Sinn kommt, um mehr über dich herauszufinden. Es ist auch vollkommen okay, was auszuprobieren und dann herauszufinden, dass das nicht für dich passt. Du darfst jederzeit deine Meinung ändern, stattdessen was anderes probieren, oder zu deinem Ausgangspunkt zurückkehren. Wenn du z.B. einen Namen ausprobierst und der sich dann doch nicht ganz passend anfühlt, dann kannst du ihn auch wieder ändern! Du musst dich nicht für den Rest deines Lebens festlegen.

Und ansonsten: Du bist auf einem guten Weg! Hör einfach weiter in dich hinein und tu, was sich gut und richtig anfühlt. Und komm gern jederzeit wieder hierher, wenn du weitere Fragen hast oder einfach nur erzählen möchtest, wie sich die Dinge bei dir entwickeln.

Viele liebe Grüße,
Balthazar

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