Was da los, Herr Buschmann?
Der Koalitionsvertrag hat ein Selbstbestimmungsgesetz versprochen. Lisa Paus und Marco Buschmann haben dann letzten Sommer Eckpunkte vorgestellt und eigentlich sollte zum Jahresende ein Vorab-Entwurf für Rückmeldungen von Verbänden da sein, dass das ganze dieses Jahr dann entspannt durch den Bundestag gehen kann.
Jetzt kam der Jahreswechsel aber kein Entwurf. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung meldete sich zu Wort und meinte, dass das grade noch im Bundesjustizministerium liegt, weil noch Fachfragen offen seien.
Fachfragen?
Da wurde ich dann hellhörig. Mehr Details nannte Sven Lehmann an der Stelle nicht und mir taten sich da ein paar Rätsel auf. Die Grünen und die FDP hatten vor der Bundestagswahl schon Entwürfe für ein Selbstbestimmungsgesetz und ein Geschlechtsidentätsgesetz vorgelegt.
Die beiden Entwürfe waren annähernd deckungsgleich, gingen etwas weiter als das, was jetzt in den Eckpunkten steht. Entweder die FDP hatte damals also bewusst einen handwerklich unfertigen Entwurf rausgehauen oder es sind im letzten Jahr magisch Fragen aufgetaucht, die es vorher nicht gab. Curious.
Da kommt dann halt noch obendrauf, dass durch die Arbeit der IMAG trans inter in der Bundesregierung schon deutlich länger zwei umfassende Reformentwürfe für das TSG vorliegen (in Band 7 und Band 8). Wenn für eine Reform jetzt also noch Fachfragen offen sind, war auch die IMAG in ihren 12 Bänden entweder nicht umfassend und sorgfältig, oder die Fachfragen haben sich erst eröffnet. Curious.
So ist das alles aber bisschen vage. Es könnte ja sein, dass sich tatsächlich relevante Fragen ergeben haben. Ich wüsste zwar nicht welche, aber nun ja, man bekommt ja nicht immer alles mit. Auch ich nicht.
Fachfragen!
Jetzt hat die ZEIT ein Interview mit Marco Buschmann veröffentlicht, was er grade so macht und was dieses Jahr so ansteht. Da ging es dann auch ums Selbstbestimmungsgesetz. Das klang dann so:
ZEIT ONLINE: Eigentlich sollte der Gesetzentwurf längst verabschiedet sein. Laut der Bundesfamilienministerin wird das nun erst bis zum Sommer passieren. Warum dauert das so lang?
Buschmann: Wir haben wahrgenommen, dass es Sorgen gibt, die sich auf die Rechtsfolgen des Geschlechtswechsels beziehen. Dabei geht es hier in Wahrheit in erster Linie um das Verhältnis zwischen Bürger und Staat – um die Änderung eines Eintrags in einem staatlichen Register. Wir werden klarstellen, was das bedeutet. Die Anrede in einem behördlichen Schreiben muss beispielsweise die geschlechtliche Identität, die ein Mensch für sich gewählt hat, respektieren und akzeptieren. Aber die Betreiberin einer Frauensauna soll auch künftig sagen können: Ich will hier dem Schutz der Intimsphäre meiner Kundinnen Rechnung tragen und knüpfe daher an die äußere Erscheinung eines Menschen an. Die Betreiber dürfen dann beispielsweise nicht dem Risiko einer Klage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ausgesetzt sein. Das müssen wir sauber regeln. Das ist technisch anspruchsvoll und muss gründlich erarbeitet sein.
Marco Buschmann macht sich also Sorgen um die Betreiberinnen von Frauensaunen und dass diese nach Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz verklagt werden könnten, wenn sie, wie Buschmann sagt "die Intimsphäre ihrer Kundinnen" schützen und "an die äußere Erscheinung eines Menschen" anknüpfen wollen.
Äußere Erscheinung eines Menschen
Manchmal ist es ja hilfreich, wenn Menschen klar machen, wo ihre Probleme liegen. Manchmal.
Wir haben ein Antidiskriminierungsgesetz auf Bundesebene und der Justizminister sagt, man müsse das anpassen, um Ausnahmen aufgrund der äußeren Erscheinung zu schaffen. Das lässt hier zwei Interpretationen zu:
- Er meint Genitalien
- Er meint etwas sehr unbestimmtes, was irgendwie auf Aussehen fußt
Antidiskriminierungsgesetz aushöhlen aufgrund von Genitalien
Wenn Marco Buschmann tatsächlich meinte: Naja, wir bauen das AGG so um, dass Menschen aufgrund ihrer Genitalien diskriminiert werden können, erscheint das bisschen albern. Aber wirft halt auch die Frage auf, wer das seriös prüfen will. Steht dann vor jeder Sauna eine Person, und alle, die rein wollen, ziehen einmal blank oder was? Oder erst im Konfliktfall, wenn die Sauna oder ein Gast anzweifelt, dass jemand hier vermeintlich falsch ist? Einmal ausziehen bitte? In was für einer Realität passt das in irgendeine Vorstellung von Privatsphäre?
Rein zahlenmäßig gibts in Deutschland vermutlich nicht mal hundert Saunen, die grundsätzlich nur für Frauen sind. Die allermeisten Saunen sind gemischtgeschlechtlich. Heißt also, Menschen mit Penis werden in den allermeisten Saunen in Deutschland auch jetzt schon sehr häufig drin sein.
Spätestens seit 2011 das Bundesverfassungsgericht den Teil des TSG als verfassungswidrig aufgehoben hat, der eine geschlechtsangleichende Operation für eine Personenstandsänderung verpflichtend machte, gibt es laut Personenstandsregister in Deutschland Frauen mit Penis. Das ist über 10 Jahre her. Bekannte Probleme dadurch: ungefähr 0.
Buschmann argumentiert jetzt, dass private Betreiberinnen von Saunen oder anderen Betrieben mehr Rechte über Information über unsere Körper haben sollten, als dem Staat gemäß Verfassung für seine eigenen Register zustehen. Klingt nicht so überzeugend.
Antidiskriminierungsgesetz aushöhlen aufgrund äußerer Erscheinung
Es bleibt anzunehmen, dass Marco Buschmann nie eine Lesbenbar betreten hat. Er ist ja auch, nach allem, was wir wissen, nicht lesbisch. Das Ding ist nur, wenn er eine Idee von lesbischer Kultur hätte, wäre er vermutlich nicht auf so einen Unfug gekommen.
Cis Lesben treten häufig derart gender nonconforming auf, so dass Regelungen, die einen Ausschluss aufgrund äußerlicher Erscheinung begründen, eine Menge von ihnen ausschließen können und werden. Das kann ja nicht so die Idee sein.
Äußere Erscheinung ist noch ein viel größeres Ding. Ist eine Person dick, sichtbar behindert, Schwarz? Das ist alles äußere Erscheinung. Ein Antidiskriminierungsgesetz, das an diesen Stellen Ausnahmen vorsieht, wäre einfach ein kompletter Witz. Nicht sicher, wieso der Bundesjustizminister auf die Idee kommen könnte, dass das eine nützliche Ergänzung wäre.
Was will man uns sagen?
Beide Interpretationen, was Buschmann hätte gemeint haben können, erscheinen nicht schlüssig.
Entweder er meint wirklich was davon und hält das für plausibel, dann hoffe ich, dass ihm noch wer sagt, dass er bisschen Pech beim denken hatte. Oder er weiß, dass es nicht plausibel ist, und schiebt das einfach nur vor, weil er keinen Bock hat, den Koalitionsvertrag umzusetzen. Oder seine Arbeit zu machen. Oder so. Und hofft dabei, dass Leute seine Begründung für plausibel halten, obwohl er weiß, dass sie das nicht ist. Da, wo ich herkomme, würde man sagen, dass er versucht, die Leute, die er regieren soll, zu verseggeln.
Und jetzt?
Wäre ganz gut, wenn man aufhören würe, uns irgendeinen -Tschuldigung- Müll zu erzählen, und entweder an dieser seit über 20 Jahren überfälligen Reform zu arbeiten und diese endlich umzusetzen, wo sie eine parlamentarische Mehrheit innerhalb der Regierungskoalition hat oder aber einfach sagen, dass man keinen Bock hat und es lassen. In beiden Fällen wird das Leuten nicht passen und das ist okay. Entscheidungen in Politik treffen, wird nicht immer nur Fans und Begeisterung generieren. Muss es auch nicht. Soll es auch nicht. Aber ich hab sowas von keinen Bock mehr auf hingehalten werden, auf irgendwelche hanebüchenen Ausreden und Verzögerungen, die anscheinend aus dem Nichts auftauchen.
Dabei gerne im Hinterkopf behalten, dass der Staat einfach aufhören könnte, das Geschlecht im Geburtenregister zu erfassen (– 1 BvR 2019/16 – Randnummer 65). Eine egal wie liberale und gute Reform der Verfahren, den Personenstand zu ändern, bleibt immer zweite Wahl gegenüber der Abschaffung. Ein Staat, der Strafverfolgung aufgrund rassistischer Verbrechen ohne Herkunftsregister anstrengen kann, kann auch Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht ohne entsprechenden Eintrag im Personenstandsregister. Hier möchte uns also jemand explizit die bessere Lösung vorenthalten und dann die schlechtere Variante auch noch noch schlechter machen.
Was tun?
Menschen in Kenntnis setzen, dass euch das nicht passt. Per Mail, per Fax, per Telefon oder per Brief. Wer in einem demokratischem Staat regieren will, muss damit leben, wenn die Leute, die er da regiert, sich äußern. Wer kommt hier in Frage?
- Marco Buschmann mitteilen, dass wir seine Bedenken nicht teilen, er aufhören soll, den Prozess zu verzögern, dass das Selbstbestimmungsgesetz längst da sein müsste und dass Diskriminierung aufgrund "äußerer Erscheinung" nach kompletter Rechtsunsicherheit und Willkür riecht. Faxnummer, Postanschrift, Mailadresse und Telefonnummer gibts auf den Seiten des Ministeriums.
- Lisa Paus könnte sich nochmal mit ihrem Kollegen im Justizministerium zusammensetzen und Versuchen bedenken auszuräumen. Kontaktdaten auch hier auf den Seiten des Ministeriums
- Sven Lehmann bitten, den Jusitzminister in Kenntnis zu setzen, dass seine Ideen zu äußerem Erscheinungsbild gar nicht mal so überragend sind. Ihm danken, dass er immer wieder über das Verfahren informiert, auch wenn es stockt. Und ihn bitten, auf eine zügige Verabschiedung hinzuarbeiten. Adresse, Telefonnummer oder ein Kontaktformular gibts ebenso online.
- Queerpolitische Sprecher*innen der Ampel-Fraktionen. Die freuen sich über Post, dass man sich auf das Selbstbestimmungsgesetz freut, die Bitte, den Gesetzgebungsprozess zu unterstützen und die aktuellen Verzögerungen im Justizministerium auszuräumen. Das wären: Falko Droßmann (SPD), Ulle Schauws (Grüne) und Jürgen Lenders (FDP)
Ein Brief oder eine Mail entwerfen kann schwierig sein. Gerade, wenn man die Person, an die geschrieben wird nicht kennt, nicht weiß, was üblich ist, oder was überhaupt relevant ist.
Ein guter Leitfaden für den Inhalt eines Schreibens ist ein Dreischritt aus:
- Wer bin ich?
- Was haben wir miteinander zu tun?
- Was möchte ich?
Davor kommt noch eine Anrede wie "Guten Tag" oder "Sehr geehrter Herr Bundesminister" und danach eine Grußformel "mit freundlichen Grüßen" und der eigene Name.
Wer bin ich?
Für Schreiben, wie wir sie hier planen, ist für den Vorstellungsteil interessant, wie ich heiße und welchen thematischen Bezug ich zum Thema vielleicht mitbringe (eigenes Queersein, Mitarbeit in einer Beratungsstelle, relevante Forschung, …). "Mein Name ist Hubertus Albers, ich forsche seit vielen Jahren zu Diskriminierung von transgeschlechtlichen Personen an der schwäbischen Dingsbums-Universität."
Was haben wir miteinander zu tun?
Das ist hier relativ banal. Ich wohne in dem Staat, den die andere Person, in welcher Art und Weise auch immer mitregiert.
"Ich wende mich heute an Sie als queerpolitischen Sprecher der Bundesregierung mit einem Anliegen zum Selbstbestimmungsesetz". So zum Beispiel. "Für mich haben sich nach dem Interview der ZEIT mit Ihnen, Herr Minister, einige Fragen ergeben."
Was möchte ich?
Das ist der individuellste und am wenigsten nach Schema-F funktionierende Part. Hier:
- Möchte zeitnah ein Selbstbestimmungsgesetz.
- Finde "äußeres Erscheinungsbild" ist keine geeignete Kategorie für irgendwas.
- Empfinde Buschmanns Aussagen zu "äußeres Erscheinungsbild" als schlechte Ausrede
- bekomme schlechte Laune, weil das TSG immer noch in Kraft ist
Wir wissen alle, was uns da stört und ein oder zwei Sätze reichen auch schon. Die Menschen, denen wir schreiben, haben nicht super viel Zeit, es ist wichtig, sich zu Wort zu melden und seinen Punkt zu machen. Super ausführlich muss das nicht sein.