Kummerkastenantwort 4.719: Wie kann ich mit dieser cisnormativen Gesellschaft umgehen?

Liebes Queer- Lexikon,

Ich bin zurzeit sehr verwirrt über meine Geschlechtsidentität. Denn eigentlich war ich mir lange Zeit sicher nichtbinär zu sein und keine Pronomen zu verwenden. Doch in letzter Zeit hinterfrage ich mich immer mehr. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich nicht mehr diese Situationen durchmachen will, in denen ich mich bei Leuten outen muss, um mich verstandener und freier zu fühlen. Denn dafür müsste ich mich echt bei so vielen Menschen outen und das finde ich extrem anstrengend und doof. Einerseits, weil die meisten Menschen nicht wissen, was nichtbinär sein bedeutet und ich es ihnen erklären müsste. Und nicht nur erklären, die meisten würden wahrscheinlich auch sagen, dass ihnen die Pronomenumstellung zu viel sei und sie es nicht verstehen/ (wollen).

Und, weil ich wahrscheinlich auf viel Diskriminierung stoßen würde, weil manche Menschen meinen , dieses Gender gäbe es nicht oder ich würde  mir das nur einbilden.

Und diese Sätze verunsichern mich auch total. Denn sie sagen ja, dass es nicht ,,normal” ist, nichtbinär zu sein und ich auch ,,einfach eine nicht- stereotypische Frau” sein könnte. Doch in mir drin spüre ich auch, dass dieser Begriff Frau irgendwie nicht zu mir passt. Ich frag mich nur warum der nicht passt und ich mich nicht als Frau sehen kann. Doch vielleicht engt mich auch nur die Kategorie ein und ich denke bei dem Begriff Frau zu stereotypisch. (mit den Verhaltensweisen und Aussehen, etc..)

Ich hab es so satt in dieser cisnormativen Gesellschaft ständig das Gefühl zu bekommen nicht reinzupassen und dass irgendwas mit meinem Empfinden falsch wäre. Nur weil ich mein Geschlecht nicht als binär wahrnehme, wofür ich ja nichts kann. Außerdem wollte ich fragen, wie ich mit der Diskriminierung umgehen kann. Vielen Dank für eure sehr hilfreiche Website und liebe Grüße

Hello,

das Problem an einer Gesellschaft ist, dass sie einfach da ist und nicht gefragt hat, dass sie Dinge etabliert hat, dass sich Dinge ständig weiter etablieren und dass jenseits des einzelnen steht, was dabei herauskommt. In anderen Worten: ja, das ist alles ziemlicher Käse, was sich da an cisnormativität zusammengebraut hat, aber davon, dass das als Konstrukt gewaltig stinkt und noch nie irgendjemand bei irgendwas geholfen hat, gehts halt auch nicht weg. Auch nicht davon, dass Cisnormativität unsäglich anstrengend ist. Wär nice, aber so aus Erfahrung: klappt nicht. Gleichzeitig können wir uns der Gesellschaft auch nicht nicht vollständig entziehen. So bisschen vielleicht schon und das kann hier hilfreich sein: Je weniger du mit Leuten, denen Pronomen und Geschlechter vorgeblich zu kompliziert sind, zu tun hast, desto weniger Gedanken musst du dir über sie machen und desto weniger können sie damit für dich anstrengend sein. Aber so ganz raus aus der Nummer kommen wir halt nicht.

Ergänzend dazu: such und finde Orte, Räume, Gelegenheiten, Freundeskreise, wo diese Normativität möglichst wenig gelebt wird, möglichst hinterfragt und dekonstruiert wird – wieder: je weniger Gelegenheit du Cisnormativität gibst, anstrengend zu sein, desto weniger kann sie anstrengend sein. Aber auch da wieder: so ganz raus kommen wir da nicht.

Auch manchmal hilfreich sind (regelmäßige) Gelegenheit darüber einfach zu meckern. Nicht irgendwie konstruktiv und “wie kann ich das vermeiden?” und “wie mache ich das nächstes Mal besser?” – während das sicher irgendwo seinen Platz haben kann, gehts mir an der Stelle um was anderes. Um ein sehr radikales: ich hab mir das nicht ausgesucht, ich kann das nicht verändern, das ist ein riesiger Haufen Scheiße, wenn so Gedanken zu lange im Kopf sind und da vor sich hin gären, kommt auch nie was gutes bei rum. Deswegen, Gelegenheiten zum Meckern und Venten haben und einplanen.

Wir sind alle schon hier, wir waren schon immer hier und wir müssen niemandem irgendetwas beweisen. Wir dürfen sein und wenn das jemand nicht passt, ist das erstmal ein Problem von jemand und nicht von uns.

Liebe Grüße
Xenia

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