Kummerkastenantwort 1.301: Wie soll ich mit meinem Geschlecht umgehen?

Ahoi!
Ich wurde als Junge groß gezogen, habe den Fußballverein als langweilig gefunden und er mich auch. Meine Freund*innen waren immer schon Mädchen und Jungs. Sozialisiert und wahrgenommen werde ich schon immer als männlich. Aber wohlgefühlt in reinen Gruppen von Jungs oder mit “echten Kerlen” habe ich mich nie. Zu viel Imponiere, Macho-Gehabe, Sexismus und Arroganz.
In der Pubertät fand ich dann meinen männlichen Körper optisch spannend und wie ich mir relativ spät eingestehen musste männliche Körper im Allgemeinen. Das ist bis heute so.
Jedoch fühle ich mich nicht zugehörig zur Gruppe der Männer*. Aber ich werde so wahrgenommen wie einer, acuh wenn mir das jedes Mal unangenehm ist.
Einfache Lösung: ich oute mich als non-binary, mache Leute auf mein neues Pronomen aufmerksam und lasse mich nicht mehr als Herr ansprechen. Allerdings scheint mir all das ein hohen Preis in unserer Gesellschaft zu haben.
Aber auch in queeren oder feministischen Gruppen würde ich wahrscheinlich oft noch als männlich wahrgenommen werden. Teilweise bestimmt zurecht: Solange ich optisch wie ein Mann* herumlaufe, habe ich in vielen Situationen die gleichen Privilegien gerade gegenüber Frauen* und Trans*Menschen. Männlich sozialisierte Angewohnheiten lassen sich ebenfalls nicht mal so einfach ablegen.

Erweiterte Lösung: Ich ändere meine Außenwahrnehmung durch Kleidung, Frisur, Make-Up.
Problem: ich fühle mich irgendwie doch wohl mit männlich aussehenden Körpern: lieber etwas kantig, bärtig, tiefe Stimmen, … Das gilt sowohl sexuell als auch für meinen Körper selbst. Manchmal trage ich auch Nagellack aber nicht in 90% der Zeit und gerade im Winter finde ich “nicht-männlich” aussehende Kleidung auch nicht passend für mich. Im Sommer fällt mir das zumindest im privaten Umfeld leichter.

Es fällt mir schwer mich auszudrücken und so gesehen zu werden, wie ich eigentlich bin bzw. eben nicht bin, und eigentlich hatte ich die Hoffnung mit 25 nicht mehr über meine Identität nachdenken zu müssen. Ich finde das Konzept “Jede*r hat eine eigene individuelle Geschlechtsidentität” bisher auch eher nicht überzeugend. Lieber wäre es mir, es gäbe diese soziale Kategorie nicht mehr.
Vielleicht habt ihr ein paar Tipps. Ich für mich habe noch keinen guten Weg gefunden. Danke euch 🙂

Hej,
vielen Dank erst mal, dass du deine Gedanken mit uns teilst.

Das spannende an Identität ist, dass sie sich ein Leben lang entwickelt. Einiges wird sich festigen, anderes irgendwann verändern. Die geschlechtliche Identität ist da keine Ausnahme, erst recht nicht in einer Zeit, in der viele von uns ohne das Bewusstsein aufgewachsen sind, dass es mehr Geschlechter gibt als nur Mann und Frau. Dass du also mit 25 wieder oder immer noch über deine Identität nachdenkst, darfst du als ganz natürlichen Prozess wahrnehmen.

Trotzdem ist das natürlich ein Prozess, der anstrengend ist. Gerade auch die Entscheidung sich zu outen erfordert Mut, immer wieder, weil es niemals nur ein einziges Outing ist, sondern immer wieder in verschiedenen Kontexten. Und, wie du beschreibst, gibt man damit auch gewisse Privilegien auf. Die Frage ist, was für dich am sichersten ist. Schaffst du es, emotional mit der Aufgabe von cis Privilegien umzugehen? Eine Hilfe können dabei soziale Netzwerke wie Instagram oder Twitter sein, wo viele Menschen des nicht-binären Spektrums miteinander connecten und einander unterstützen können. Dein Netzwerk, online wie offline, kann dir außerdem auch helfen, dich auf die von dir angesprochenen “männlichen” Angewohnheiten zu aufmerksam zu machen und sie nach und nach verändern zu lernen, wenn du das möchtest.

Trotzdem, auch was deine Außenwahrnehmung angeht: Dein Körper, dein Styling, deine Art zu sein macht dich nicht männlich. Nicht-binäre Menschen schulden niemandem Androgynität. Du darfst deine Nicht-Binarität genau so ausleben, wie DU bist. DU bestimmst deine Nicht-Binarität, deine Identität in allen ihren Formen, das kann und darf dir niemand nehmen.

Auch hier kann dein sicheres Netzwerk helfen. Wenn du bei ihnen sicher bist, die von dir gewählten Pronomen benutzt werden, du immer wieder Bestätigung in deren Wahrnehmung bekommst, kann das sehr helfen dich zu stützen, wenn die Außenwahrnehmung mancher anderer dich männlich liest.

Ich hoffe, ich konnte dir ein paar Impulse geben.
Liebe Grüße,
Valo

Das könnte dich auch interessieren …