Ich bin ein Genderstern.

Content Notes: Es wird Essen und Kochen erwähnt

Ich bin ein Genderstern, von dem niemand genau weiß, was er ist.

Ich bin inzwischen oft zu finden: in Büchern, Artikeln, Tweets und überhaupt (queer-)feministischen Kontexten. Fachsprachlich nennen mich Expert*innen auch Asterisk, mein Kosename auch Gendersternchen.

Warum mich Menschen nutzen, ist ihnen oft gar nicht klar. Irgendetwas mit Inklusivität sagen sie und sprechen dann meistens nur von cis weißen Frauen, wenn es um Gleichberechtigung geht. Besonders, wenn sie mich in beruflichen Kontexten verwenden. 

Als gesprochene Pause (fachsprachlich Glottisschlag) komme ich noch viel weniger vor. Quasi nur bei denen, die mich schon jahrelang verwenden.

Und dann gibt es noch die, die mich ständig durch einen binären Doppelpunkt ersetzen wollen. Ja, der Doppelpunkt und ich stehen in einer schwierigen Beziehung zueinander. Don’t ask.

Jedenfalls argumentieren Menschen ganz viel für meinen Widersacher mit Barrierefreiheit. Oft nutzen sie aber gar keinen Screenreader, um sich Texte vorlesen zu lassen, sondern haben das nur mal so irgendwo gehört, dass der jetzt besser sein soll als ich. Könnt ihr euch das vorstellen? Nein, ich auch nicht. Es gab sogar dann extra Studien, auch mit sehbehinderten und blinden Menschen und die ergaben, dass ich eigentlich ziemlich toll bin und sie empfehlen sogar ausdrücklich mich zu nutzen. 

So bin ich in vielen Diskursen auf einmal Diskussionsgrundlage, mir wird gedroht mich einfach wegzulassen, mich wegzuschmeißen, weil ich auf einmal nicht mehr toll genug bin wie so abgetragene Schuhe. Was neues muss her. Aber warum weiß so niemand richtig.

Überhaupt das warum. Ich bin da, ich werde gebraucht oder auch verworfen. Und dann? Dann ist alles irgendwie gut? 

Hallo, ich bin Daniela. Ich bin nicht-binär und ich bin der Grund, warum ihr ein Genderstern nutzt. Ich bin weder Frau noch Mann, weder Verfasser noch Verfasserin dieses Textes, sondern Verfasser*in. Und ja, wegen Menschen wie mir nutzt ihr einen Genderstern. Wir existieren. Uns gibt es so oft mehr als Rothaarige in Deutschland, so viel mehr als Menschen mit Doktortitel und wir möchten nicht mehr ignoriert werden.

Wir wollen auch angesprochen werden, wir wollen kein Pflichtfeld mehr mit „Mann, Frau, Divers” ausfüllen, das sogar semantisch falsch ist, denn divers ist ein Geschlechtseintrag, keine Anrede – aber da steht ja nicht männlich, weiblich, divers. Und selbst, wenn es mal um Gender-Abfragen geht, wäre das auch falsch. Gender ist auch noch nicht gleich Geschlechtseintrag. Von letzterem gibt es drei und einen leeren. Von ersterem so viele mehr als 2, 3 oder 4. Agender, nicht-binär, neutrois, männlich, weiblich, demigender, polygender… die Auswahl an Gendern ist riesig. Auch du darfst dein eigenes Geschlecht selbst definieren. Nur wir wollen wirklich kein Drei-Gender-Meme mehr sein. 

Lernt endlich, in Formularen keine Anrede mehr zu verwenden. Das ist irrelevant. Fragt nach Namen. Vor- und Zunamen, wenn ihr eine E-Mail, Versandbenachrichtigung oder Einladung zum Vorstellungsgespräch schreiben wollt. Hallo Vor- und Zuname. Wenn ihr „Divers Daniela” auf eine Paketmarke druckt, müsst ihr das nächste Mal auch „Männlich Markus” schreiben, versprochen?

Lernt endlich, dass es viel mehr als nur drei Geschlechter gibt. In Stellenanzeigen steht immer noch viel zu viel m(ännlich)/w(eiß)/d(eutsch). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sieht vor niemanden zu diskriminieren. Ihr wisst schon, dass ihr das mit dem optionalen m/w/d genau tut, oder? Nicht alle nicht-binären Menschen haben divers als Geschlechtseintrag. Wo erwähnt ihr die ohne Eintrag? Wo finden sich die in eurem Unternehmen, in eurer EDV, in euren Fragebögen wieder? 

Ständig höre ich, ich sei eine neue Erfindung. Neumodischer Unfug. Ich mache die anderen mit Buchstaben aneinander gereihten Wörter kaputt. Und dann gucke ich mich so an und danke meiner Gründerin Luise F. Pusch, die mich Ende der 70er schon mit Worten und -innen verband und in eine innige Beziehung brachte. Und so bin ich also irgendwas um die 40 Jahre alt und ihr nennt mich immer noch neu? 

So richtig beachtet haben mich dann ja auch erst alle, als ich erwachsen war. Hatte mit Gesetzen zum Geschlechtseintrag zu tun. Seit Ende 2013 können Menschen den Eintrag leer lassen, seit Ende 2018 kam divers hinzu. Wie muss sich divers nur fühlen, ständig falsch verwendet zu werden? Ich stelle mir das ja ziemlich stressig vor. 

Jedenfalls erfuhr ich dann also quasi mit ca. Ende 20 meine Renaissance. Quasi noch lebend. Das schafft auch nicht jede*r. Was für ein Erfolg und dann feiern mich immer noch nicht alle.

Ja, ich bin noch hier. Ich bin immer noch existent und genervt, weil ich bei einer Online-Umfrage die Frage nach Geschlecht/Geschlechtseintrag gerade schon wieder falsch anklicken musste, um weiter zu kommen. Was genau wollt ihr denn mit der Frage eigentlich wissen? Was in meiner Geburtsurkunde steht? Was ich in der Hose habe? Geht es nicht viel mehr darum, dass ihr von mir persönlich eine Äußerung haben wollt? So, wie ihr auch wissen wollt, ob ich auf einer Skala von 1-5 weniger gerne bis sehr gerne koche oder diese neue Schokoladenverpackung super hässlich bis super schön finde? 

Warum fragt ihr nach Identifizierung? Habt ihr je eine cis Frau oder einen cis Mann gefragt, ob sich die Person als Frau oder Mann identifiziert? Ich identifiziere mich nicht. Ich bin.

Bin. Bin in einer innigen Beziehung mit -innen. Ich fühle mich nur zwischen Buchstaben wohl. Nicht am Ende des Wortes. Wie bei Frau oder Mann. Das bin nicht ich. Das ist kein Gendersternchen. Das ist eine schlechte Fälschung meiner selbst. Wenn ihr Männer meint, meint ihr nicht mich, wenn ihr Frauen meint, meint ihr nicht mich. Ich bin da für alle, die das nicht sind. Bin nicht euer Vorzeigezeichen und Aushängeschild für Diversität als Grundeinstellung. Ich bin nicht einfach nur ein Zeichen, was synonym für alles steht. Ich bin.

Nicht. Nichts habt ihr verstanden, wenn ihr uns nicht endlich mitdenkt. Sprachlich, menschlich, formal und rechtlich. Wir haben ein Recht aufs Gehört, Gesehen und Wahrgenommen werden. Wir haben ein Recht darauf so auszusehen, wie wir aussehen. BI_PoCs, mehrgewichtig, langhaarig, kurzhaarig, ohne Haare, androgyn zu sein, uns anzuziehen wie wir wollen – mit Pronomen nach Wahl. Wir haben ein Recht auf gleiches Gehalt, gleiche Führungspositionen im Beruf, gleiche bürokratische Rechte. Wir haben ein Recht auf sprachliche Sichtbarkeit. Wir haben ein Recht. Wir haben. Wir.

Genderstern.

Und ich.

 

(Daniela, Pronomen: they/them)

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