Ich bin kein Pride-Logo!

Von unserem Teammitglied Daniela.

Content Notes: Queerfeindlichkeit, Sexismus und sexuelle Belästigung (explizite Schilderung) in Unternehmenskontexten

Es ist Juni. Es ist Pride Month. Und es ist der Monat, in dem LinkedIn (und andere Plattformen mit Corporate-Profilen) nicht mehr nutzbar ist für mich.
Warum? Zum einen sind alle Logos auf Pride-Farben umgestellt. Das macht Firmenlogos unkenntlich, sehr identisch und nach WCAG-Standards auch deutlich weniger accessible (barrierearm).

Doch das nur zur formalen Seite.
Die emotionale Seite ist deutlich komplexer.

Die meisten Firmen wollen einmal im Jahr Solidarität mit queeren Menschen zeigen. Ich bin einer der vielen queeren Menschen in Deutschland. Ich bin keine Pride-Flag, kein Pride-Logo, kein Gender-Doppelpunkt aus SEO-Gründen, keine temporäre Marketing-Aktion.

Ich bin ein realer, queerer Mensch mit Bedürfnissen im Arbeitsleben.

Mir zeigt der Juni deshalb vor allem eins: Unternehmen betreiben in dieser Zeit besonders gern und häufig Pinkwashing (= Labeln von Produkten/Marken/Logos mit LGBTIQA+ Symboliken, um möglichst reichweitenstark viel Profit zu erzeugen und nicht etwa aus gelebter Queerfreundlichkeit). 

Warum? Ein Zwölftel des Jahres werden eben für vier Wochen jene – meist nur visuelle (!) – Symboliken genommen, die die restlichen elf Monate nicht präsent und in persona in Unternehmen nicht zu finden sind. Damit meine ich nicht Pride-Flags vor Firmengebäuden, sondern queere Führungskräfte, queere Personen in C-Leveln, queere Gründer*innen, queer-sensible Webseiten. 

Ein Beispiel?

Die Deutsche Bahn lässt sich feiern für einen Zug, der nur mit cis Frauen besetzt ist. 
Die Deutsche Bahn lässt sich feiern für die Einführung einer Frauenquote von 30% auf Führungsebene.
Die Deutsche Bahn wird von einer queeren Person verklagt, weil die Ticketbestellung einer einfachen Fahrkarte queerfeindlich ist, und lässt das Verfahren durch mehrere Instanzen gehen, nur um weiterhin an binären Anreden festhalten zu können. Die Bahn hat zu Recht verloren. Das Pflichtfeld der Anrede wegzulassen, kostet nun angeblich Millionen.

Queerinklusiv ist das nicht.

Ein persönliches Beispiel?

Eine große Firma stellt in einer Großstadt einen CSD-Truck. Ich fahre als queere Person mit. Ich werde gleich zweimal von demselben cis Mann auf dem Wagen sexuell belästigt (ob er queer war, weiß ich nicht, dass er cis war, merkte ich daran, dass er sein Genital an mir rieb, als er an mir vorbeiging). Beim zweiten Mal brülle ich ihn gegen den Partylärm so laut ich kann an. Seine Antwort: „Warum hast du denn so schlechte Laune?”

Jahre später gebe ich für denselben Konzern einen DEI-Workshop (Diversity, Equity, Inclusion) und hoffe für all das Erlebte sensibilisieren zu können. Das Ergebnis: Ich werde mehrfach falsch angesprochen (misgendert), meine Rechnung wird nicht fristgerecht bezahlt und ich muss mir anwaltliche Unterstützung suchen, um Wochen später den Betrag endlich auf meinem Konto wiederzufinden.

Noch heute sehe ich das Unternehmen oft in Kontexten erwähnt, in denen Diversity gefeiert wird. 
Ich werde vor allem eins mit diesem Unternehmen nie verbinden: Queer-Inklusivität.

Noch ein Beispiel?

Vor ca. einem Jahr war ich auf Jobsuche. Ich bin damals von meiner Führungskraft verabschiedet worden mit den Worten: „Das Unternehmen, in dem du demnächst arbeiten wirst, kann sich sehr glücklich schätzen, dich zu haben.”
Das Bewerbungsprozedere hat mich eines Besseren belehrt. Ich bin in der IT tätig. Einer Branche, die stetig Fachkräfte sucht. Nur nicht queere Fachkräfte. Ich habe 120 Bewerbungen schreiben müssen für zwei Jobangebote. Weiße cis Männer (in heteronormativem Gewand) schreiben maximal ein Zehntel und können sich dann zwischen mehr als zwei Jobs mit bis zu 20% mehr Gehalt entscheiden.

Meinen Frust der Bewerbungen habe ich damals in einem Bingosheet festgehalten: https://bingobaker.com/#40c222907cca16cd

Spoiler: Ich habe diverse Vorstellungsgespräche abgebrochen, weil sie sexistisch, übergriffig und/oder unverschämt waren. Selbst in Firmen, in denen Pronomen abgefragt wurden (bei Firmen, die ihren Hauptsitz in den USA und/oder GB haben, ist das bereits Gang und Gäbe), wurden falsche Pronomen für mich verwendet, mit den fadenscheinigsten Ausreden. 

Queerinklusiv ist das nicht.

Meine Beobachtungen und Learnings

Sobald es in Firmenkontexten um Diversity geht, wird auf der Ebene der geschlechtlichen Vielfalt gefeiert, viele Frauen eingestellt zu haben. Das ist in den diversen Gruppierungen/Meet-ups/Veranstaltungen, die „Women in …” oder ähnlich heißen, auch sehr gut zu beobachten. Diese Frauenräume sind oft exkludierend. Sie sind im Regelfall für cis Frauen. Nicht für trans Frauen, nicht für inter Frauen und für nicht-binäre Personen sowieso nicht. Sie sind auch oft: nicht queerinklusiv.

Wo finde ich also genau diese beruflichen Angebote in Deutschland für trans, nicht-binäre und inter Personen? (Wenn schon Pride-Month, dann bitte nicht ausschließlich die sexuelle Orientierung feiern, sondern auch die geschlechtliche Vielfalt!) Sobald es um Diversity-Projekte innerhalb von Firmen geht, werden diese von weißen cis Frauen dominiert. Und es werden cis Männer auf CSD-Trucks eingeladen, die Abuser sind.

Wo finde ich in Deutschland trans, nicht-binäre und inter Personen in Führungspositionen, in C-Leveln und in genau diesen Projekten, in denen es um inklusive Bewerbungsprozesse, gendersensible Guidelines usw. geht? Wo finde ich die Unternehmen, die Awareness-Arbeit ihren MItarbeiter*innen gegenüber leisten von und mit trans, inter und nicht-binären Personen, um sexuelle Belästigung, Sexismus und viele andere -ismen in Arbeitskontexten zu vermeiden?

Wo finde ich Weiterbildungsangebote, zum Beispiel für und als Führungskraft, die queerinklusiv sind und nicht von cis Frauen angeleitet werden, die mir erklären wollen, dass Mansplaining ja was Gutes sei. Wo wird konkret in Führungskräfteseminaren aufgeklärt von trans, inter und nicht-binären Personen und über strukturelle, eben auch queerfeindliche, Probleme in Unternehmen gesprochen?

Wo finde ich meine trans, inter und nicht-binären Vorbilder in Deutschland in beruflichen Kontexten?
Wo finde ich Bücher über IT-Themen von trans, inter und nicht-binären Personen? (Ich kann nicht alle Bücher selbst übersetzen.)

Wo finde ich Bücher über Diversity-Themen von trans, inter und nicht-binären Personen, wenn es um geschlechtliche Vielfalt (z.B. in Organisationen oder Teams) geht?

Verbesserung braucht Betroffene

In Film- und Literaturdebatten gibt es schon lange Diskurse zu den sog. „own voices”, das heißt, Betroffene schreiben aus ihren eigenen Perspektiven, weil Nicht-Betroffene den täglich erfahrenen Schmerz nicht nachfühlen können (Ich schreibe als weiße Person ja auch kein Buch über Antirassismus!). 

Betroffene sind beim Schreiben von Drehbüchern dabei, bei dem Dreh selbst und siehe da: endlich dürfen dann auch queere Protagonist*innen zum Beispiel ein Happy End haben, wie in “Stadtgeschichten (Tales of the City)” oder neuer: “Heartstopper”.

Wo sind die own voices in Unternehmen?
Wo werden wir gefragt, was wir brauchen, was für uns ein inklusiver (Arbeits-)Raum ist?
Und wo wird nur über uns bestimmt?

Ich erkenne inzwischen schon an Stellenanzeigen, ob ein Unternehmen queerinklusiv ist. 
Ich erkenne an Firmen-Websites, ob ein Unternehmen queerinklusiv ist.
Ich höre in Podcasts, ob sich queere Personen unterhalten oder es doch nur wieder um das Schönreden von Pinkwashing geht.
Ich erkenne in Bewerbungsgesprächen, an Organigrammen und auch als Endverbraucher*in an z.B. Onlineshops, Formularen und Umfragen, ob das Unternehmen queerinklusiv ist.

Und last but not least:
Ich erkenne am Pride-Logo im Pride Month, dass das Unternehmen nicht queerinklusiv ist.


Nachklapp:

Da ich immer wieder dieselben Fragen gestellt bekomme, hier ein kleines Queerinklusivität 101:

„Aber…

… wie verwende ich denn nun they/them als Pronomen im Deutschen?”

Genau so wie in der Frage selbst: Englische Wörter in deutschen Sätzen gibt es zahlreiche, insbesondere und auch gerade in der IT. „Er/Sie/They/Es/Xier… programmiert gerade. Sein/Ihr/Their/Xiers… Code (!) von gestern ist zur Review (!) fertig.”

… ich weiß doch auch nicht so genau, wie ich mich jetzt (sensibel) verhalten soll. Das alles verunsichert mich doch sehr.”

Ich verstehe deine Verunsicherung. Wenn ich mich mit einem Thema nicht so gut auskenne, kann mich das auch verunsichern. Dann informiere ich mich über und mit guter Literatur, Webseiten, Blogs von entsprechenden own voices und bin dann nicht mehr so unsicher. So habe ich neue Dinge gelernt, z.B. wie ich Pflanzen gieße (und sie von Raupen oder Läusen befreie und wiederbelebe), einen Foodblog schreibe oder auch Standard und Latein tanze. Was hast du denn als letztes gelesen zum Thema LGBTIQA+? Welchen Workshop hast du zuletzt zum Thema Diversity besucht? Wann hast du das letzte Mal Expert*innen zu dem Thema Gendervielfalt bezahlt so wie du auch deinen Bonsai- oder Judovereinsbeitrag zahlst? Und wo sind über deine Weiterbildung hinaus noch Fragen übrig?

…wir geben uns bereits viel Mühe. Sei doch mal etwas geduldiger.“

Nun, ich habe mehr als die Hälfte meiner Lebenszeit erreicht. Vermutlich auch die Hälfte meiner Arbeitszeit in Jahren. Ich werde knapp 40 Jahre seit der Zuweisung eines falschen Geschlechts bei der Geburt bereits queerfeindlich diskriminiert. 

Diskriminierung findet im Gehirn dort statt, wo auch körperliche Gewalt stattfindet und löst die gleichen neurologischen Schäden aus. Ich gebe mir auch nicht Mühe meine Vorgesetzten oder Arbeitskolleg*innen nicht ohrzufeigen. Sondern mache das selbstverständlich nicht – weder absichtlich noch unabsichtlich.

Diskriminierungsfrei und damit gewaltfrei zu handeln ist keine Frage von sich Mühe geben, sondern von Überzeugung und machen.

… früher war alles ganz anders? Das ist alles so neu (und modern).”

  • They/them steht als Singular-Pronomen im Oxford-Dictionary seit dem Jahre 1375.
  • Die dritte (Geschlechtseintrags-)Option (nachdem es bereits die leere Geschlechtseintragsoption ab Ende 2013 gab), erfährt 2018 ihre Renaissance. Schon im 18. und 19. Jahrhundert gab es ein Gesetz für inter Menschen im Preußischen Landrecht. 
  • Genderqueere/gender non-conforming Hochzeiten gab es schon 1920, z.B. in Ungarn (durch die Eheleute Minka Czóbel & Helene von Büttner).
  • Die erste geschlechtsangleichende OP hat 1922 bei der trans Frau Dora Richter stattgefunden. Die erste OP für ein künstliches Kniegelenk erst 1968.
  • Im Juni 1969 gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen queeren BI_PoCs (hauptsächlich trans Personen (!), Drags und Sexworker*innen) und der Polizei – der Ursprung des heutigen Pride Month (und CSDs sowie vor allem dem Erobern queerer Rechte) ist dabei u.a. diesen Kämpfen der Schwarzen trans Frau Marsha P. Johnson zu verdanken. 

Ich weiß leider nicht, wie alt du bist und in welchem Jahrhundert du geboren bist – ich im 20. –, aber so neu ist das alles eher nicht.

… kannst du mir nicht mal eben kostenlos helfen hier für mein Projekt/Vorhaben/Workshop/Keynote?”

Wir vom Queer Lexikon e.V. bekommen kontinuierlich Projektanfragen für kostenlose Bildungsarbeit (z.B. auch von dem o.g. Unternehmen, das meine Rechnung nicht fristgerecht gezahlt hat).

Ich bekomme regelmäßig auch als Einzelperson Nachfragen für Diversity-Themen – immer als Forderung, „mal eben“ helfen zu können, teilweise sogar, um das Wissen dann als nicht-queere Person ins Unternehmen zu tragen. Quasi als Vorab-Schulung oder -Briefing. Warum ladet ihr mich und/oder andere queere Personen nicht direkt zu genau dieser Veranstaltung ein, wo sensibilisiert werden soll? Warum hört ihr nicht gemeinsam trans, inter und nicht-binären Personen als Unternehmen zu?

In den meisten Vorgesprächen muss ich deutlich erklären, dass meine Dienstleistung Geld kostet. Und von vielen höre ich dann nie wieder etwas. Stunden um Stunden, die ich bereits gearbeitet und genau 0 Euro verdient habe.

Ich weiß leider nicht, wie es dir und euch geht, aber ich kann von „mal eben kostenlos helfen” und von 0 Euro leider nicht kostenlos meine Miete bestreiten, kostenlos einkaufen und kostenlos essen. 

Meine Arbeitsstunden sind Dienstleistungen. Mein Wissen ist hart erarbeitet (mental, finanziell, zeitlich). Jeden einzelnen Tag im Jahr (nicht nur im Juni) muss ich um meine Rechte und gegen queerfeindliche Diskriminierung kämpfen. Ich habe in einem kapitalistischen System nicht die Möglichkeit kostenlos zu arbeiten. Und da, wo ich mich ehrenamtlich einsetzen möchte, tue ich das bereits.

Wenn ihr mich also das nächste Mal für eine Rückfrage, eine Schulung, einen Workshop o.ä. anfragt, schreibt direkt dazu, dass ihr keine kostenlose Dienstleistung meint und mich selbstverständlich bezahlen wollt. Der Kostenvoranschlag in einer Autowerkstatt ist auch kostenpflichtig und wird mit der Reparatur verrechnet. Meine Dienstleistung ist nichts Anderes. Ich repariere gerne euer Wissen. Nicht nur im Juni.

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