Kummerkastenantwort 5.906: Ich zweifle an meinem Geschlechtsempfinden.
Hallo Liebes Queer-Lexikon,
In letzter Zeit zweifel ich wieder mehr an meinem Geschlechtsempfinden. Denn ich weiß eigentlich dass ich trans/nichtbinär bin, aber habe immer wieder auch die Gedanken warum ich nicht einfach ein trans Mann sein könne. Denn dann (ist meine Hoffnung) würden vielleicht die meisten Menschen in meinem Umfeld das eher akzeptieren. Denn trans Männer passen ja in das Binäre System.
Andererseits merke ich dass der Begriff Junge oder Mann nicht richtig passt.
Außerdem habe ich das Gefühl, meine Therapeutin würde denken wenn ich sage ich bin nichtbinär, wäre ich trotzdem „eine maskuline lesbische Frau“. Denn trotz meines Outings redet sie über mich immernoch als Frau und versteht es irgendwie falsch.
Es fühlt sich auch falsch an, zu denken ich wäre eine maskuline lesbische Frau. Ich fühle mich vielleicht wohler in „Frauengruppen/- toiletten“, aber trotzdem bin ich keine Frau. Denkt ihr ich sollte vielleicht versuchen ihr das nochmal zu erklären?
Ich würde mir einfach wünschen dass mein Nichtbinär-Sein von anderen einfach als eigenes Geschlecht akzeptiert wird!
An meiner Schule bin ich btw nicht geoutet, weil ich mich da noch zu unsicher fühle. Generell sind Schulen finde ich meistens eher konservativ und mein Nichtbinär- Sein würden da glaube ich nur wenige verstehen und akzeptieren.
Aber outen möchte ich mich evt, wenn ich bald auf eine andere Schule wechsel. Dort habe ich jedoch wieder Angst vor Sprüchen wie ,,Es gibt doch nur Frauen und Männer!“
Ich bekomme ja zurzeit selbst noch das Gefühl, mein Empfinden wäre nicht richtig und ich müsste binär sein.
Habt ihr vielleicht Tipps was ich gegen diese Zweifel tun kann?
Vielen Dank für eure Hilfe!
Liebe Grüße
Heyyo,
vielen Dank für dein Vertrauen! Es ist sehr verständlich, dass du gerade mit vielen Unsicherheiten zu kämpfen hast – und gleichzeitig ist es auch vollkommen in Ordnung, nicht alle Antworten für dich selbst parat zu haben.
Du schreibst, dass du eigentlich weißt, dass du trans oder nichtbinär bist, aber immer wieder überlegst, ob es einfacher wäre, als trans Mann durchs Leben zu gehen – vor allem, weil das möglicherweise besser in das binäre System passt und von deinem Umfeld eher akzeptiert würde. Das ist ein sehr nachvollziehbarer Gedanke. Viele Menschen, die nichtbinär sind, erleben genau diesen Druck: dass es leichter scheint, in einer binären Identität zu leben, weil die Gesellschaft für nichtbinäre Menschen häufig weniger Verständnis, Sichtbarkeit und Akzeptanz bereithält. Aber nur weil ein Weg gesellschaftlich „einfacher“ wirkt, heißt das nicht, dass er der richtige für dich ist. Du schreibst ja selbst, dass sich die Begriffe „Junge“ oder „Mann“ für dich nicht richtig anfühlen – und das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Dein Gefühl ist absolut valide. Du bist nicht „falsch“, nur weil du dich nicht in eine der zwei Schubladen pressen kannst oder willst, die die Gesellschaft vorzugeben scheint.
Auch deine Erfahrungen mit deiner Therapeutin sind leider etwas, das viele queere und insbesondere nichtbinäre Menschen erleben: dass ihre Identität nicht wirklich ernst genommen oder missverstanden wird. Es kann sehr belastend sein, wenn eine Person, die eigentlich Unterstützung geben soll, dein Geschlechtsempfinden falsch interpretiert. Du fragst, ob du es vielleicht nochmal versuchen solltest, ihr zu erklären, dass du nichtbinär bist. Wenn du dich dazu bereit fühlst und die Kraft hast, kann es hilfreich sein, nochmal deutlich zu machen, wie du dich selbst verstehst – und dass du nicht möchtest, dass sie dich weiterhin falsch einordnet.
Du kannst ihr zum Beispiel auch Infomaterial mitbringen oder sie auf die Webseite des Queer Lexikon verweisen, wo es viele Artikel und Erklärungen zu nichtbinären Identitäten gibt.
Wenn du das Gefühl hast, dass sie trotz deiner Erklärungen weiterhin nicht respektvoll mit deinem Geschlecht umgeht, kann es auch legitim sein, zu überlegen, ob du dir eine andere Therapeut*in suchst – jemand, der*die dich so begleitet, wie du bist, und dich nicht auf etwas festlegt, was du nicht bist.
Du beschreibst auch ein Spannungsfeld, das viele nichtbinäre Menschen erleben: Dass du dich in bestimmten Räumen wie Frauengruppen oder -toiletten wohler fühlst, aber trotzdem weißt, dass du keine Frau bist. Das ist absolut okay. Die Wahl eines Raumes hat nichts mit deinem Geschlecht zu tun, sondern mit deinem Bedürfnis nach Sicherheit und Komfort – besonders in einer Welt, die nichtbinäres Sein oft noch unsichtbar macht. Du musst dich nicht rechtfertigen, warum du dich in einem bestimmten Raum sicherer fühlst, und das macht deine Identität kein bisschen weniger echt oder „richtig“.
Auch deine Gedanken über ein mögliches Coming-Out an der neuen Schule zeigen, wie gut du reflektieren kannst. Es ist völlig in Ordnung, dass du dich bisher noch nicht geoutet hast – deine Sicherheit steht immer an erster Stelle. Schulen sind leider oft tatsächlich Orte, an denen es viel Unverständnis oder konservative Einstellungen gibt. Es ist mutig, dass du darüber nachdenkst, dich an deiner neuen Schule vielleicht zu outen – und auch sehr verständlich, dass du dabei Angst vor negativen Sprüchen hast. Solche Aussagen sind verletzend und falsch, aber sie zeigen auch, wie wenig viele Menschen über Geschlecht wirklich wissen. Vielleicht hilft es dir, dir vorher Unterstützung zu suchen, zum Beispiel durch eine Vertrauensperson, durch queere Gruppen in deiner Nähe oder auch durch Online-Angebote.
Zum Schluss: Dein Nichtbinär-Sein ist echt. Du musst dich nicht binär einordnen, um „gültig“ zu sein oder irgendwelchen Normen zu entsprechen. Du darfst du selbst sein – auch, wenn das nicht in die üblichen Kästchen passt. Und du hast das Recht, dass dein Geschlecht respektiert wird – von deinem Umfeld, von deiner Therapeutin, von deiner Schule. Du bist okay, genauso wie du bist.
Queere Grüße, Kay