Wir sind wir – Junge trans* Menschen erzählen. Eine Rezension
von unserem Team-Mitglied Annika
Über das Buch
“Wie fühlen sich junge trans* Menschen in der heutigen Gesellschaft? Wie ist es für sie, mit einem Körper geboren zu sein, in dem sie sich nicht erkennen? Welche Hindernisse begegnen ihnen? Wie haben Eltern und Freund*innen auf das Outing reagiert?“ – so der Klappentext.
In diesem Buch sind 18 Interviews mit jungen trans Personen im Alter zwischen 15 und 27 Jahren abgedruckt. Es gibt außerdem Gedichte von einigen der Personen und illustrierende Zeichnungen. Die Interviews sind allerdings nicht in Interview-Form geschrieben, sondern als Fließtext. Man weiß also nicht genau, welcher Fragen gestellt wurden und der Inhalt fließt ein bisschen unstrukturiert vor sich hin.
Die trans Jugendlichen, die interviewt wurden, sind ganz unterschiedlich: Es gibt trans maskuline, trans feminine, nicht-binäre und questioning Personen, es gibt Personen, die auf dem Land leben, welche die in der Stadt leben, auch eine geflüchtete Person ist dabei. Manche sind überall geoutet, manche nicht; manche machen eine medizinische Transition, mache nicht, manche sind noch unentschlossen. Unter den Interviewten gibt es viele unterschiedliche sexuelle und romantische Orientierungen und Beziehungsformen.
In den Interviews werden außerdem ganz viele verschiedene Themen angesprochen, z. B. Selbstfindung, Community, Gewalt, Coming Out, Transition, Dating, Politik, Kinderwunsch, Coming Out im Job usw. Viele der Interviews sprechen auch sehr negative Aspekte an, und sind daher ganz schön heftig zu lesen.
Für wen und wieso das Buch wichtig ist
Für junge Personen, die sich z. B. fragen, ob sie trans sind, ist dieses Buch eine wichtige Ressource. Sie können nachlesen, wie andere Personen in ihren Alter mit den gleichen Fragen umgegangen sind, wie sie ihren Weg gestaltet haben und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Dass dieses Buch in gedruckter Form und schön illustriert vorliegt, hat eine wichtige symbolische Wirkung.
Eltern von Kindern, die (vielleicht) trans sind kann das Buch einen Einblick darin geben, wie sie sich am Besten unterstützend verhalten können – und welche Konsequenzen es hat, wenn sie ablehnend auf ein (trans) Coming Out reagieren, oder es einfach ignorieren.
Fachkräfte und Allys können hier viel über die Lebenssituation, Ressourcen, Bedarfe, Erfahrungen und Unterstützungsmöglichkeiten von trans und nicht-binären Jugendlichen lernen. Ich kann mir gut vorstellen, dass einzelne Kapitel daraus in der Aus- und Weiterbildung von pädagogischen und medizinischen Fachkräften genutzt werden können.
Was mir gut gefallen hat
Das Buch ist voller Empowerment für junge trans Personen – auch im Hinblick auf unterschiedliche Coming Out Verläufe und Transitionen. Immer wieder wird betont: Du bist gut, so wie du bist. Du bestimmst deine Identität, deine Label und deinen Weg selbst. Du kannst so transitionieren, wie das für dich gut ist und musst keine Transitionsmaßnahmen durchführen, wenn sie für dich nicht passen. Du kannst dein Geschlecht so leben, wie es sich für dich gut anfühlt. Du kannst ein femininer trans Junge sein, du kannst als trans Mädchen ‚maskuline‘ Hobbies haben, du musst keinen Geschlechterstereotypen entsprechen. Dadurch wird bei den Leser*innen Druck abgebaut. Auch die Vielfalt von nicht-binären Transitionsverläufen wird dargestellt.
Was mir nicht so gut gefallen hat
- Man weiß, weil die Interviews nicht als solche, sondern als Fließtext abgebildet sind, nicht genau, welcher Fragen gestellt wurden und der Inhalt fließt ein bisschen unstrukturiert vor sich hin. Für den Lesefluss hätte ich mir gewünscht, die Interviews auch tatsächlich im Interview-Style zu lesen, also Fragen und Antworten. Das hätte die Texte besser strukturiert und übersichtlicher gemacht.
- Es finden sich teilweise problematische und falsche Behauptungen und Formulierungen im Text, die durch die Herausgeberin nicht eingeordnet oder korrigiert werden – dazu gehört die Verwendung des Wortes „Rasse“ (S.15) ohne Anführungszeichen oder Problematisierung, Allonormativität in Aussagen, also die Annahme, dass alle Menschen gerne Sex haben (wollen), oder dass Nicht-Binarität definiert wird als „Es bedeutet, dass man sich weder als Junge mit einem Penis, noch als Mädchen mit einer Vagina identifizieren will“ (S.111).
- Ganz zu Beginn des Buchs gibt es eine allgemeine Triggerwarnung, aber nicht an den einzelnen Kapiteln oder spezifischen Stellen. So kommen sehr unvermittelt Themen wie Suizidalität oder Diskriminierung und Gewalt im Text, auf die man nicht vorbereitet ist und die man nicht überspringen kann. Das ist nicht gut gelöst.