Statement zum Verhalten des Vereinsvorstands zum übergriffigen Verhalten eines Team-Mitglieds

Wir, der Vorstand des Queer Lexikons, also Annika, Xenia und Zombie, nehmen hier Stellung zu einem öffentlichen Call-Out zu unserem Umgang mit einer Person im Team des Queer Lexikons, die sich übergriffig verhalten hat (im Folgenden: "übergriffige Person") und zu unserer Kommunikation mit der von dem übergriffigen Verhalten betroffenen Person (im Folgenden: "betroffene Person").

Vorab: In der Kommunikation mit der betroffenen Person haben wir stets versucht, dieser größtmögliche Handlungsfreiheit zu geben – und ihre Wünsche und Bedürfnisse für das weitere Vorgehen in den Vordergrund zu stellen. Wir haben ihr zu jedem Zeitpunkt geglaubt.

Mehr zu unseren Handlungsmaximen steht unter „Wie ist der Vorstand vorgegangen?"

Was ist passiert?

Eine Person, die zu dem Zeitpunkt Teil des Queer Lexikon-Teams war, hat sich bei einer externen Veranstaltung, die nicht vom Queer Lexikon veranstaltet wurde und keine Infrastruktur des Queer Lexikon nutzte, übergriffig verhalten. Diese Person streitet das nicht ab und hat nach Bekanntwerden des Vorfalls/der Tweets (s.u.) selbst Konsequenzen gezogen. Diese Konsequenzen (s.u.) haben sich – so sie die Arbeit im Verein betrafen – mit dem Vorgehen des Vorstands gedeckt, sodass an dieser Stelle erstmal nicht weiter interveniert wurde.

Die betroffene Person hat auf Twitter über diese Erfahrung berichtet. Diese Tweets waren von einem, zu dem Zeitpunkt, öffentlichen Account verfasst und auch wenn das Queer Lexikon nicht getagged war, wurde es explizit namentlich erwähnt, wodurch die Tweets über die Suchfunktion auffindbar waren. Der Vereinsvorstand hat diese Tweets gelesen, weil wir grundsätzlich als ehrenamtlicher und reichweitenstarker Verein die Verantwortung haben, Inhalte über unsere Arbeit zu lesen, zu (über-)prüfen, und ggf. Feedback ins Team weiterzugeben (positives wie negatives).

Wir sahen in den erwähnten Tweets eine implizite Anschuldigung an das Queer Lexikon. Uns erschien es deshalb dringend und wichtig, diesen Anschuldigungen nachzugehen. Da das Queer Lexikon in den Tweets explizit benannt wurde, hat der Vorstand umgehend persönlichen Kontakt mit der betroffenen Person aufgenommen. Auch um eventuelle. Wünsche und Forderungen, wie wir in der Sache verfahren sollten, zu erfragen.

Was wir nicht diskutieren werden

Als Klarstellung und zur Transparenz vorneweg:
Die übergriffige Situation hat nicht in Queer Lexikon-Strukturen stattgefunden und in die konkrete Situation war der Vorstand des Queer Lexikons nicht involviert. Deswegen halten wir es nicht für sinnvoll, uns zur Situation des Übergriffs vor Ort zu äußern.

Wie bereits erwähnt, waren die ursprünglichen Tweets der betroffenen Person öffentlich verfügbar und wurden von uns über die Suchfunktion gefunden. Wir hatten und haben weiterhin keine Kontrolle darüber, wer diese Tweets sieht oder sehen kann.
Der Vorstand kann keine Verantwortung dafür übernehmen, inwiefern Menschen aus dem Team Dinge lesen, die im Internet stehen.

Das bedeutet nicht, dass wir den Übergriff nicht ernst nehmen, oder dass wir keine Konsequenzen daraus ziehen werden.
Wir glauben der betroffenen Person.

Der Call-Out an das Queer Lexikon

Vor ca. einer Woche verfasste die betroffene Person ein öffentliches Call-Out. Darin werden der übergriffigen Person und uns verschiedene Vorwürfe gemacht. Dabei wurden wir manchmal sprachlich mit der übergriffigen Person gleichgesetzt, so dass auch wir teilweise nicht konkret nachvollziehen können, welche Anschuldigungen an uns und welche an die übergriffige Person gerichtet sind.

Wir sehen im Call-Out allerdings zwei große Punkte die an uns gerichtet sind, und zu denen wir hier Stellung nehmen wollen:

  1. Die Anschuldigung, wir hätten vertrauliche Informationen im Team herumgereicht
  2. Die Anschuldigung, wir hätten mit der übergriffigen Person gesprochen

Anschuldigung 1: Der Vorstand hat vertrauliche Informationen zur Situation im Queer Lexikon Team herumgereicht

Im öffentlichen Call-Out von der betroffenen Person werden wir beschuldigt, die Kommunikation zwischen dem Vereinsvorstand und der betroffenen Person nicht (wie vereinbart) vertraulich zu behandeln.

Die Anschuldigung weisen wir entschieden zurück. Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um die vertrauliche Kommunikation zu schützen:

  • Wir haben die Kommunikation mit der betroffenen Person nicht über Accounts des Queer Lexikon geführt (sondern den privaten Account eines Vorstandsmitglieds). So haben wir verhindert, dass Informationen aus der Kommunikation ins Team gereicht werden, da weitere Teammitglieder Zugänge zu den Social Media Accounts des Queer Lexikon haben. So war keine Weitergabe und kein Abfluss vertraulicher Information möglich.
  • Vorstandsmitglieder haben trotz Nachfragen aus dem Team, worum es in diesen Vorstandssitzungen ging, keine Informationen weitergegeben. Das entspricht nicht unserer sonst gängigen Praxis.
  • Das Team wurde vom Vorstand erst über diese Situation informiert, nachdem die betroffene Person den Call Out gegen die übergriffige Person und gegen das Queer Lexikon, dieses Mal mit direkter Verlinkung, öffentlich gemacht hat. Dabei wurden Details aus vier Wochen persönlicher Kommunikation mit der betroffenen Person weiterhin nicht kommuniziert, sondern Transparenz geschaffen, dass der Vorstand mit Hochdruck an einer gemeinsamen Lösung für alle Beteiligten (Betroffene Person, übergriffige Person, Vorstand und Team des Queer Lexikon.) arbeitet. Teil dieser Arbeit ist dieses Statement, um Fragen, Bedenken und Abfolge des Falls zu protokollieren und transparent zur Verfügung zu stellen.

Anschuldigung 2: Das Queer Lexikon hat zuerst mit der übergriffigen Person gesprochen

Im Call Out der betroffenen Person wird uns außerdem vorgeworfen, dass wir mit der übergriffigen Person gesprochen haben, bevor wir die betroffene Person angeschrieben haben, und dass wir diese Kommunikation mit der übergriffigen Person gegenüber der betroffenen Person verschwiegen haben.

Hierzu äußern wir uns wie folgt:

  • Wir haben die übergriffige Person zur selben Zeit kontaktiert wie die betroffene Person. Den Vorwurf, wir hätten zuerst mit der übergriffigen Person gesprochen, bevor wir die betroffene Person kontaktiert haben, weisen wir zurück.

  • Wir haben die übergriffige Person in Kenntnis gesetzt, dass der Vorstand die entsprechenden Tweets gefunden hatte. Das hatte verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass wir daran glauben, dass Menschen, gegen die öffentliche Anschuldigungen vorliegen, von diesen wissen sollten und dazu (wenn sie wollen) auch Stellung beziehen können. Zu diesen Gründen stehen wir auch heute noch. Wäre uns die Information des übergriffigen Verhaltens auf privaten bzw. geschützten Kanälen mitgeteilt worden, hätten wir sie nicht ohne weitere Absprache weitergegeben. An dieser Stelle hatten die öffentlich sichtbaren Tweets für uns > den privaten Rahmen, in dem man Informationen nicht weiter gibt, bereits verlassen. Dass wir die betroffene Person nicht darüber informiert haben, dass wir die übergriffige Person über die Anschuldigungen in Kenntnis gesetzt haben, war falsch. Das tut uns leid und dafür möchten wir ausdrücklich um Entschuldigung bitten.

  • Die übergriffige Person hat auf die Information über die Existenz der Tweets hin selbst angeboten, eine Pause im Team zu machen. Außer organisatorischen Absprachen, die diese Pause möglich machten (z.B. Übergabe von Aufgaben und Zugängen wie Passwörtern), gab es keine Absprachen oder Besprechungen. Die Person war von dem Moment an, ab dem uns die Vorwürfe bekannt waren, von ihren Aufgaben entbunden.

  • Es gibt auch keine Absprachen über Statements von der übergriffigen Person o.ä.

  • Nichts aus der Kommunikation des Vorstands mit der betroffenen Person wurde jemals an die übergriffige Person weitergeleitet.

Wie ist der Vorstand vorgegangen?

Der Vorstand hat in der Kommunikation mit der betroffenen Person und der Gesamtsituation stets nach zwei Maximen gehandelt:

  • Wir glauben der betroffenen Person.
  • Wir stellen die Bedürfnisse und Wünsche der betroffenen Person darüber, wie wir mit der Situation weiter verfahren sollen, in den Mittelpunkt. Wir haben stets versucht, so viel Kontrolle und Handlungsmacht (zurück) zu geben wie nur möglich.

Das bedeutet leider für die betroffene Person, in aktiver Kommunikation zu bleiben, um ggf. Entscheidungen zu treffen, Wünsche und Bedürfnisse zu äußern oder auch den Wunsch nach Abbruch oder keiner gemeinsamen weiteren Lösung zu äußern. Auch wenn wir uns der Problematik bewusst sind, dass Betroffene in Verarbeitungsprozessen oft kaum Kraft haben für Dialoge, war uns stets wichtig, mit der betroffenen Person eine adäquate Lösung zu erarbeiten. Das ist ein Dilemma (zwischen Kontrolle und Aufwand), das sich leider nicht lösen lässt.

Wir haben der betroffenen Person deshalb verschiedene Angebote und Vorschläge gemacht, darunter:

  • Einen Wechsel der Kommunikationskanäle
  • Das Angebot eines Gesprächs:
    • mit oder ohne professioneller externer Moderation
    • mit Hinzuziehung und Finanzierung von externen Mediator*innen, Supervisor*innen oder Organisationen, die sich mit sexualisierter Gewalt beschäftigen.
  • Außerdem haben wir mehrfach signalisiert, dass wir an den Forderungen und Wünschen der betroffenen Person Interesse haben und sie gerne in die Findung von Konsequenzen und Lösungen aktiv einbeziehen.

Keines dieser Angebote wurde angenommen. Das ist verständlich und okay. Bis zum Kontaktabbruch von Seiten der betroffenen Person gab es keine konkreten Vorschläge der betroffenen Person für Konsequenzen, Lösungen, Wünsche oder das weitere Verfahren. Auch das ist in Ordnung.

Wir verstehen die Frustration, die entstehen kann, wenn als betroffene Person keine der Lösungsvorschläge gut genug erscheint und keine der Ideen, die wir vorgeschlagen haben, zu der erlebten Situation passen. Wir verstehen auch, wenn nicht weiter mit uns kommuniziert werden möchte. Für uns war es bis zum heutigen Zeitpunkt leider nicht möglich, eine konsensuale und einvernehmliche Lösung mit der betroffenen Person zu erarbeiten.

Als Verein mit dem Schwerpunkt queerer Aufklärungsarbeit sehen wir uns darüber hinaus in der Verantwortung, interne Konsequenzen zu ziehen:

Zum aktuellen Zeitpunkt hat der Vorstand die übergriffige Person aus dem Team permanent beurlaubt, bis das ganze Queer Lexikon Team im Konsens eine gemeinsame Entscheidung über Konsequenzen treffen kann (s.u.).

Gemäß unserer Satzung kann nur die Mitgliederversammlung als Organ über Ausschlüsse aus dem Verein entscheiden.

Wo sehen wir als Vereinsvorstand unsere Verantwortung?

Als online organisierter und in ganz Deutschland verteilt arbeitender Verein, der keine zentralen Räumlichkeiten hat, sind strukturell einige Aspekte bei uns anders organisiert, als sonst in ehrenamtlicher Arbeit, welche zentral an einem Standort stattfindet. So arbeiten wir dezentral, asynchron und remote. Wir kommunizieren als Gesamtteam von mehr als 20 Personen in themen- und aufgabenspezifischen Kanälen. Wir treffen uns darüber hinaus monatlich als gesamtes Team im Online-Plenum. Die meisten Teammitglieder arbeiten ehrenamtlich, neben Job und Studium für den Verein. Einige arbeiten zu festen und regelmäßigen Zeiten für den Verein, einige andere flexibel und sporadisch. Als Vereinsvorstand können und wollen wir das Verhalten von Team-Mitgliedern außerhalb ihrer Arbeit für das Queer Lexikon nicht überwachen.

Wenn uns bekannt wird, dass das Verhalten eines Teammitglieds gegen unsere Grundsätze verstößt, müssen wir als Vorstand geeignete Maßnahmen umsetzen, sowohl kurzfristig als auch nachhaltig.

Für die Reflexion unserer Arbeit im Team, Aufarbeiten von Problemen und allgemein der möglichen offenen Aussprachen bieten wir im Team aktuell einmal im Quartal und bei Bedarf auch häufiger extern moderierte Supervision an. Im Nachgang dieser Situation planen wir als Vorstand zusätzliche Schritte (s.u.).

Was tun wir nun?

Aus dem geschilderten Vorfall, halten wir vier Dinge für unsere Vereinsarbeit für dringend notwendig (die zu Teilen unabhängig davon bereits angelaufen sind) um interne Strukturen und unsere gemeinsame Zusammenarbeit stetig zu optimieren:

  1. Schutzkonzepte weiterhin verbessern
  2. Im Plenum weiteres konsensfähiges Vorgehen finden
  3. Personen im Team schulen
  4. Arbeit des Vorstandes aufarbeiten und gegebenenfalls neuen Vorstand finden

Schutzkonzepte weiterhin verbessern

Wir verbessern unsere Schutzkonzepte, Handlungsleitlinien und Beschwerdemanagement auch unter Hinzunahme externer Expertise kontinuierlich, um den Schutz von Nutzer*innen unseres Angebots und Menschen im Team zu gewährleisten. Dazu ziehen wir externe Expert*innen hinzu.

Planungen dazu laufen bereits seit einigen Monaten. Die aktuelle Situation bestärkt uns in der Fortführung dieser Maßnahme, die wir 2022 begonnen haben.

Im Plenum weiter planen

Als basisdemokratisches Team werden wir gemeinsam in naher Zukunft im Plenum und in extern moderierter Supervision oder Mediation eine gemeinsame konsensfähige Position finden, um mit der Situation langfristig umzugehen und Konsequenzen zu ziehen.

Unsere Plena finden, wie erwähnt, einmal im Monat statt. Das gesamte Team wird sich diesen Monat, im März-Termin, erstmalig damit gemeinsam befassen.

Personen schulen

Wir werden allen Personen im Team das Angebot machen, sich für Täter*innen-Arbeit und für einen verbesserten solidarischen Umgang mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt schulen und fortbilden zu lassen. Die Kosten dafür tragen wir als Verein.

Wir sehen das als dauerhafte, wiederkehrende und selbstverständliche Aufgabe für einen Verein, der im queeren Aufklärungsbereich tätig ist, uns regelmäßig und zeitgemäß fortzubilden.

Arbeit des Vorstandes aufarbeiten

Der Vorstand wird, soweit unter Wahrung der Vertraulichkeit der Kommunikation mit der betroffenen Person möglich, das Team lückenlos informieren und wenn das Team den aktuellen Vorstand als nicht mehr tragbar einschätzt, wird er die Niederlegung seiner Ämter anbieten.

Das Gesamtteam haben wir vor Veröffentlichung dieses Statement über diese Entscheidung informiert.

Freiburg im März 2023