„Niemand hat die Absicht, das Regenbogenportal abzuschalten“ – kein Scherz, aber richtig schlecht.
Kurzfristig informierte das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ), das auch für die Belange queerer Menschen zuständig ist, das Regenbogenportal am 29. November abzuschalten. So ist es nun auch vollzogen worden – aber mit welcher Begründung und wie passt das zur Gesamtsituation?
Mit dem Regenbogenbogenportal hatte das BMFSFJ seit etwa 2018 eine wichtige Infoplattform aufgebaut, die 2019 online ging. Das Portal stellte geprüfte und verlässliche Informationen zu pädagogischen, juristischen oder allgemeinen Fragen im Kontext sexueller, romantischer und geschlechtlicher Vielfalt für Queers, Zugehörige, Lehrkräfte, Sozialarbeitende, Wissenschaftlerin_nen und viele weitere Nutzer*innengruppen in einer eigenen, über die Jahre gewachsenen Artikelsammlung zur Verfügung. Es gab seit einer Weile erste Inhalte in Leichter Sprache. Außerdem stellte das Regenbogenportal einen einzigartigen, verschlagworteten und filterbaren Link- und Download-Katalog mit Studien, Handreichungen, Infobroschüren, Aktionsplänen der Bundesländer und vielem mehr zur Verfügung. Was es auch noch gab: Eine Datenbank mit Anlaufstellen, die z. B. rund um den eigenen Wohnort oder zu bestimmten Themenfeldern gefunden werden konnten: queere Zentren, Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und und und.
Das Regenbogenportal war eine Adresse, die für vertrauenswürdige, fachlich korrekte und immer gut verständliche Informationen stand. Es war die Seite, die von ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern aufgerufen wurde, wenn für eine der vielen von Politik und Ministerien kurzfristig angeforderten Stellungnahmen nachts um zwei noch schnell nach den aktuellsten Studien geschaut werden musste. Der Newsletter mit den aktuellen Neuzugängen in den Medien- und Linkkatalog hat zuverlässig für eine zeitnahe Verwendung der neusten Info-Broschüren in einer Beratungsstelle am anderen Ende der Republik gesorgt. Manchmal waren die Infoseiten oder auffindbaren Materialen des Regenbogenportals der Rettungsring für einen queeren Teenager bei der Krisen-Fallkonferenz einer Schule, den ein Elternteil oder die lokalen Transberater*innen in der Runde verteilen konnte. Das Regenbogenportal war eine Adresse, die ohne mit der Wimper zu zucken der mitarbeitenden Person aus der Familienhilfe in die Hand gedrückt werden konnte.
Oft stellte sich bei der Weitergabe an Multiplikator*innen ein bekannter psychologischer Effekt ein: Der reflexhafte, oft subtile, kritisch-misstrauische Blick, mit dem Menschen noch ohne eigene Fachexpertise der Arbeit queerer Initiativen begegnen, blieb aus. Denn: Ministerien wird zurecht eine Distanz zur queeren Selbstvertretung und ihren validen(!), aber auch in Teilen unterschiedlichen politischen Forderungen zugeschrieben.
Die Begründung für Entscheidung vom 25. November zur Abschaltung des Portals am 29. November durch das BMFSFJ (die inzwischen nur noch bei u.a. queer.de als Volltext im Netz zu finden ist) lese ich mit Wut und Ironie paraphrasiert: Verdammt, Inklusion und Barrierefreiheit sind teuer. Infotexte müssen ab und zu aktualisiert werden, warum hat uns keiner gesagt, dass sich Gesetze und Gesellschaft weiterentwickeln? Als wir 2019 das Portal aufgesetzt haben, hat niemand über die ständigen technischen Fortschritte nachgedacht und z. B. für die aktuellen Barrierefreiheits-Standards bräuchte es einen Relaunch. Das ist uns zu teuer, es gibt Suchmaschinen und das Netz ist schön groß und sehr queer geworden.
Also wurde „nach sorgfältiger Abwägung“ die Abschaltung des Portals entschieden. Das wurde am 25. November dort verkündet und bereits in der Nacht zum 29. November vollzogen. Ob sie jemals erwogen haben, das Portal in eine andere Trägerschaft zu überführen, davon ist keine Rede im Text. Ebenso wenig von einer Befragung der Nutzenden, ob sie das Portal noch brauchen und welche Verbesserungen sie angesichts des Zuwachses an Informationen sie vom Regenbogenportal bräuchten. Oder welche Teile seines Angebots wirklich verzichtbar geworden sind oder zumindest am ehesten verzichtbar wären.
Das BMFSFJ beschreibt stattdessen blumig nicht näher bezeichnete, viele und gute Infoseiten „auch staatlicher Stellen“ – vermutlich verschiedener Bundesländer. Was nicht mehr und nicht weniger bedeutet, als dass das Ministerium in den letzten sechs Jahren keine produktive und effiziente Zusammenarbeit von Bund und Ländern organisiert hat. Das BMFSFJ attestiert dem eigenen Regenbogenportal fälschlicherweise eine Nicht-Mehr-Notwendigkeit in einem Flickenteppich an unterschiedlichsten Webangeboten. Die Verantwortlichen haben dieses Wachstum rund um das Regenbogenportal herum nicht als Chance verstanden, die eigene redaktionelle Aufgabe als zentraler Wegweiser genau dank dieses Zugewinns an Angeboten zu vereinfachen und effizient auszubauen. Das Regenbogenportal war und ist in der gelebten Praxis alles andere als überflüssig. Ihm solch eine Verzichtbarkeit zu bescheinigen ist schon fast obszön inkompetent und ignorant.
Nun sollen laut BMFSFJ die dauerhaften und verlässlichen Informationsflüsse also vor allem die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen sicherstellen. Das meint uns, die queeren Communities selbst, die schon seit Jahrzehnten die Lücken staatlicher Verantwortungsübernahme mit unseren Ehrenämtern füllen. Ab und zu garniert mit einem Bundesverdienstkreuz oder Landespreis. Und auch das Team des BMFSFJ bedankt sich höflich beim Abschieden von den Nutzer*innen für ihr Interesse und ihre Mitwirkung. Schönen Dank für nichts. Wir, deren Fördermittel für Vereine und Projekte gerade massiv und nahezu flächendeckend von Bund und Ländern gestrichen oder „bestenfalls nur gekürzt“ werden – wenn wir überhaupt jemals welche bekommen haben. Denn während sich Ministerien und Behörden zunehmend mit Regenbogenflaggen und auch Politiker*innen sich in Reden landauf und landab zur Teilhabe queerer Menschen in Deutschland bekennen, war zu keinem Zeitpunkt bislang auch nur der Grundbedarf an Beratungsstellen, Soziokultur und Informationszugang von Kommunen, Bund und Ländern ausfinanziert.
Wie selbstgerecht und ignorant von den Verantwortlichen im BMFSFJ hier, dass sie nun von uns Queers erwarten, in der Freizeit und mittels Spenden die Zukunftssicherheit für so ein relevantes Informationsangebot wie das Regenbogenportal zu organisieren, während seit Jahren Desinformationskampagnen gegen die Glaubwürdigkeit unserer puren Existenz gefahren werden. Blanker Hohn und eloquent vorgetragener Realitätsverlust. Oder inhärent bis offen queerfeindlich und zynisch, schreiben Menschen als Reaktion auf mein Instagram-Posting aus dem dieser Blogbeitrag entstanden ist.
Den Rückschritt in staatlich-verantwortungsfreien Zeiten, den das BMFSFJ gerade vollzieht, verdeutlicht eine aktuelle Initiative, dich mich an die jahrzehntelange Arbeit jener Menschen erinnert, die schon Ende der 1990er-Jahre gay-web.de, das Homowiki (seit 2006) oder Konnys Lesbenseiten (1998-2018) aufgebaut und gepflegt haben: Die Aktiven bei Queeres Brandenburg und dem CSD Sachsen-Anhalt haben nach der Ankündigung des BMFSFJ in einer Hauruck-Aktion versucht, alle Inhalte des Regenbogenportals zu sichern und wollen sie zeitnah wieder der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Ich sende ihnen allerallerherzlichsten Dank und viel Liebe für diesen Rettungsversuch. Vom Queerbeauftragten der aktuellen Bundesregierung Sven Lehmann und dem BMFSFJ erwarte ich, die groteske Fehlentscheidung zu revidieren. Und bis dahin für die Community-Initiative aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt Rechtssicherheit in Bezug auf etwaige Urheberrechts-Schranken für die erneute – und bestenfalls lediglich überbrückende – Wiederveröffentlichung zu schaffen.
Denn es braucht selbstverständlich weiterhin – und eher für Jahrzehnte, als nur einige Jahre – zuverlässige und verständliche Informationen über sexuelle, romantische und geschlechtliche Vielfalt. Für queere Menschen selbst, für ihre Zugehörigen, für sozialarbeitende, pädagogische oder juristische Fachpersonen und Mitarbeitende in den Verwaltungen, für Mediziner*innen, Pflegekräfte und Therapeut*innen, für Personalverantwortliche und Arbeitskolleg*innen sowie alle anderen, die beruflich oder persönlich mit Menschen in ihrer ganzen Vielfalt im Kontakt sind. Einen derart etablierten Wegweiser abzuschalten ist schlicht desaströs.
The Bigger Picture: Bundes- und Landesregierungen müssen endlich aus dem ständigen Wechselspiel von zeitlich begrenzter Projektförderung und wiederkehrenden Mittelkürzungen je nach politischer Wetterlage und anstehenden Wahlen aussteigen. Irgendwo ist immer eine Wahl und immer noch ist es überall fünf nach Zwölf und nicht: Feierabend. Es braucht eine stabile, effiziente Sicherstellung der Grundstrukturen für marginalisierte Bevölkerungsgruppen in diesem Land. Wohlstands„sicherung“, die nur über den systematischen Ausschluss gesellschaftlicher Teilhabe von Queers, BIPoC, behinderten und/oder prekär lebenden Menschen funktioniert, wäre das Gegenteil von Anstand und Wohlstand. Es wäre politische Wohlstandsverwahrlosung.
Mo Wenner ist seit über 20 Jahren in queeren Aktivismen und Strukturen ehren- und hauptamtlich unterwegs, war unter anderem Geschäftsführung in einem queeren Landesnetzwerk und in der Trans*Beratung tätig und hat von 2018 bis 2021 für eine Bundestagsabgeordnete die wissenschaftliche Mitarbeit für Queerpolitik gemacht. Aktuell ist Mo Teil des Sprecher*innen-Duos im Queerpolitischen Beirat des Landes Bremen.
Aktueller Mood: „Kann grad nicht mehr. Wo sollen wir die Energie herzaubern, um immer wieder um jedes Stück unserer Teilhabe zu kämpfen?“, 28.11.2024 kurz nachdem die News zur Abschaltung des Regenbogenportals einschlugen.
Die Haushaltskrise reißt leider ein gutes Projekt nach dem anderen ein…
Ich bin echt gespannt, wie es weitergeht und was als nächstes eingestellt wird. :/