Na Endlich
Von unserer Blogleitung Xenia. Zur Entspannung liest sie gerne Gesetzentwürfe.
Frohlocket. Es ist soweit. Die Schlussabstimmung mit der sogenannten zweiten und dritten Lesung für das Selbstbestimmungsgesetz ist im Bundestag zur Abstimmung am Freitag terminiert.
Die Beschlussempfehlung aus dem Familienausschuss liegt nun auch vor.
Wir gehen hier vom Text der ersten Lesung mit den Änderungen, die der Familienausschuss vorschlägt aus.
Zur Verabschiedung eines Gesetzes durch den Bundestag bedarf es eigentlich nur 3 Lesungen und einer Schlussabstimmung. Das übliche Verfahren ist aber, dass ein Gesetzentwurf nach der ersten Lesung in ein oder mehrere Ausschüsse des Bundestags überwiesen wird. In diesen Ausschüssen werden dann nochmals Expert*innen gehört, Änderungsvorschläge erarbeitet und zuletzt eine Beschlussempfehlung mitsamt der vorgeschlagenen Änderungen erarbeitet. Auf Basis dieser Beschlussempfehlung wird dann in der zweiten Lesungen der Gesetzentwurf im Plenum geändert und in der dritten verabschiedet.
Was war noch mal das Selbstbestimmungsgesetz?
Das Selbstbestimmungsgesetz soll das sogenannte Transsexuellengesetz und die Regelungen im Personsenstandsgesetz Paragraph 45b ablösen. Also die Regelungen, die es trans-, nicht-binären und inter Personen ermöglicht, ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag zu ändern.
Die Idee dabei ist folgende: Wer seinen Geschlechtseintrag oder Vornamen ändern will, kann das mit einem einfachen Antrag auf dem Standesamt tun. Bei erfolgter Änderung gibt es über das sogenannte Offenbarungsverbot auch einen Schutz davor, dass die Änderung ausgeforscht wird und einen Anspruch darauf, das Dokumente, die sich auf Namen und Geschlechtseintrag beziehen, neu ausgestellt werden.
Zusätzlich, aber nicht in diesem Gesetz, stehen noch eine Entschuldigung des Staates für das Unrecht, dass trans und inter Personen über die Jahre durch das bestehende Recht zugefügt wurde und eine rechtliche Absicherung für medizinische (transitions) Maßnahmen, aus.
Wer kann denn nun so einen Antrag stellen?
Eigentlich: fast alle. Aber nur eigentlich und nur fast.
Wer seinen Geschlechtseintrag ändern will und über 18 Jahre alt und im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ist, wird über einen einfachen Antrag im Standesamt Vornamen- und/oder Personenstand ändern können. Dazu muss ein Antrag allerdings bereits drei Monate im Voraus beim Standesamt angekündigt werden. Zusätzlich kann ein Antrag auch rückabgewickelt oder verzögert werden, wenn die Person zuvor einen männlichen Geschlechtseintrag hatte und ein Spannungs- oder Verteidigungsfall im zeitlichen Zusammenhang mit dem Antag eintritt.
Das bricht also schon für diejenigen, die laut Personenstandsregister bisher männlich, weiß und deutsch sind, mit der Prämisse, dass Dinge einfach sind.
Und wenn die antragstellende Person jünger ist?
Für Minderjährige über 14 gilt zusätzlich, dass Erziehungsberechtigte oder gesetzliche Vertreter zustimmen. Weiterhin wird verlangt, dass eine antragsstellende jugendliche Person eine Beratung erhalten hat. Beraten können psychologische oder psychatrische Fachpersonen und Träger der Jugendhilfe.
Wer noch jünger ist, kann den Antrag nicht selbst stellen, sondern muss sich darauf verlassen, dass die Eltern den Antrag stellen, muss aber dem Antrag zustimmen. Zudem muss sich ein antragstellendes Elternteil analog beraten haben lassen.
Dieser Teil ist in den Beratungen im Ausschuss neu dazugekommen.
Wenn die antragstellende Person nicht deutsch ist?
Dann wird der Antrag einfach ungültig, falls zwei binnen Monaten nach der Antragsstellung ein Ereignis zum Erlöschen des Aufenthaltsrecht führt.
Wie steht es um das Offenbarungsverbot?
Haben wir, aber. Einträge mit Geschlecht und Vornamen oder Bezug darauf in amtlichen Registern können nach der Änderung auf Verlangen geändert werden. Das gilt auch für einige nicht-amtliche oder nicht-behördliche Dokumente. Weiterhin ist es ausdrücklich verboten nach einer Änderung vorherige Geschlechtseinträge oder Vornamen auszuforschen.
Die großen Abers hier sind:
- Im Entwurf steht wörtlich “Die bisherigen Einträge und eingereichten Dokumente bleiben in amtlichen Registern erhalten”. Das stellt bisschen in Frage, wo die Änderung letztlich überhaupt amtlich verlangt werden kann.
- Der Anspruch nicht-behördliche Dokumente zu ändern, betrifft nur Dokumente, die zur Aushändigung bestimmt sind. Das heißt so viel: Alle Arten von Dokumenten, die Dritte über mich anlegen, müssen nicht geändert werden, wenn sie nicht dazu gemacht sind, dass ich sie eines Tages bekomme.
- Es gibt noch eine explizite Liste von Ausnahmen von Dokumenten, die nicht auf Basis dieses Gesetzes geändert und neu ausgestellt werden können. Darin:
- gerichtliche Dokumente
- Dokumente, die durch Veränderung des Vornamens oder des Geschlechtseintrags ungültig werden und
- Dokumente, die bei Verfahren aus dem Beurkundungsgesetz oder Personenstandsgesetz entstehen
- das Offenbarungsverbot gilt weiterhin nicht:
- für amtliche Register und Informationssysteme,
- wenn besondere Gründe des öffentlichen Interesses entgegenstehen (wobei erstmal gerichtlich geklärt werden muss, was ein besonderer Grund hier ist)
- wenn ein rechtliches Interesse an den geänderten Daten glaubhaft gemacht wird
- ausgenommen vom Offenbarungsverbot sind auch Ehegatten und nahe Verwandte, aber nur, wenn sie nicht in schädigender Absicht handeln
Neu nach den Ausschussberatungen ist hier die Beschränkung auf Dokumente, die zur Aushändigung bestimmt sind. Auch die Ausnahme von der Ausnahme für Verwandte und Ehepartner*innen, die in schädigender Absicht gegen das Offenbarungsverbot verstoßen, kam durch die Beratungen im Ausschuss neu dazu.
Was machen wir da jetzt?
- Wir nehmen, was wir kriegen:
- Das TSG ist und bleibt eine Zumutung, das kommt weg. Nehmen wir.
- Anträge im Standesamt, Anträge ohne Begutachtung waren immer Teil der Kernforderung, die werden kommen. Nehmen wir.
- Das Offenbarungsverbot ist nun weiter ausformuliert und betrifft explizit auch nicht-behördliche Dokumente. Nehmen wir.
- Wir leben Tradition:
- Das TSG in seiner heutigen Form ist eine vollständige Ruine. Es zerfiel, weil Menschen bis vor das Verfassungsgericht klagten und Recht bekamen, weil es sie in ihren Grundrechten verletzt hat.
- Alles, was noch im TSG drin ist, hat sich bestenfalls gerade so über die Hürde Verfassungsgericht gerettet, es bestehen weiter Zweifel und Verfassungsbeschwerden.
- Let’s make it a tradition: Ich prognostiziere, ab In-Kraft-Treten vergeht kein Jahr, bis die erste Verfassungsbeschwerde gegen kritische Teile eingereicht wird.
In einem Satz: Freitag feiern, Samstag Verfassungsbeschwerde ausarbeiten, ab August Änderungen im Standesamt anmelden und ab November Anträge stellen. Weiter auf eine Entschuldigung warten und für Absicherung unserer Gesundheitsversorgung kämpfen.