Kummerkastenantwort 893: Ich bin keine cis Frau.

Liebes Kummerkasten Team,

ich habe niemand mit dem ich darüber sprechen könnte. Ich glaube mehr closeted als ich jetzt bin geht gar nicht mehr haha. Ehrlich gesagt habe ich mich auch von der LGBTQ Community fern gehalten weil ich meine Probleme verdrängen wollte. Ich entschulde mich, falls ich falsche oder verletzende Ausdrücke verwendet haben sollte. Das ist bestimmt nicht meine Absicht.

Ich komme aus einer sehr konservativen Familie. Ich kriege ständig Kritik, ich wäre zu burschikos und kriege so nie einen Mann ab. Wenn sie wüssten.
Ich bin biologisch weiblich, Ende 20 und mit wenigen Ausnahmen stehe ich hauptsächlich nur auf Männer. Zudem auch noch auf sehr maskuline Männer. Ich kann es nicht ändern. (Glaubt mir, ich habs schon mehrfach versucht.) Cis Frau, die auf maskuline Männer steht ist doch weit verbreitet & akzeptiert, also entspreche ich der Norm? Und hier liegt das Problem:

Ich habe jetzt sicher schon seit über 10 Jahren versucht, einfach eine “normale” cis Frau zu sein, aber irgendwie fühlt es sich immer total fake an. Nach einigen Jahren der Verwirrung, der Unsicherheit und der Selbstfindung, wurde mir mit spätestens 19 klar, dass ich wohl ein schwuler Mann im Körper einer Frau bin. Diese Erkenntnis hat mich ziemlich überfordert und seitdem habe ich mehr oder weniger versucht, es zu verdrängen. Früher habe ich mich männlich gekleidet, abgebunden und kurze Haare gehabt. Ich habe sogar meine ziemlich weibliche und süße Nase mit meinen ersten Gehältern markanter operieren lassen, damit ich vom Gesicht her androgyner werde und als Mann durchgehen könnte. Zum Glück habe ich wenig Brust aber wie ich meine weibliche Hüfte gehasst habe! Dank meiner Größe und breiten Schultern ging ich aber überall als Mann durch, solange ich nicht gesprochen habe. Wie stolz ich darauf war. Je besser ich darin wurde, desto mehr weibliche Verehrerinnen hatte ich. Verwandte äußerten den Verdacht, ich könnte lesbisch sein. Auch von femininen und masochistischen Männer bekam ich sehr viel Aufmerksamkeit. Für die Männer, die ich wollte, war ich komplett unsichtbar. Das hat mich so frustriert, dass ich von einem Tag auf den anderen komplett aufgehört habe. Seitdem habe ich wieder sehr lange Haare, zwinge mich ausschließlich in der Damenabteilung einzukaufen, übe vor dem Spiegel feminine Haltung, Gang und Mimik. Weil ich wieder Single bin, habe ich am vergangenen Black Friday aus Frust sechs Kleider gekauft, die ich wahrscheinlich lockdownbedingt in nächster Zeit eh nicht anziehen werde. Gerade maskuline Männer stehen auf sehr weibliche Frauen und wenn ich mich schminke, Kleider und Heels anziehe und mich typisch weibliche benehme, kommt das sehr gut an. Aber ich fühle mich dabei als wäre ich im Drag. JEDES Mal, wenn ich ein Kleid anziehe, habe ich das Gefühl “ok Scheinwerfer an für meine Drag Show!” Ich kann mich nicht richtig über Komplimente zu meiner Weiblichkeit freuen. Einerseits denke ich “Yesss ich gefalle dir”, bin stolz auf meine schauspielerischen Fähigkeiten, aber andererseits macht es mich traurig, dass ich nicht richtig gesehen werde. Bei Dates kann ich mich nie entspannen. Ich fühle mich so fake, dass die Typen mir manchmal echt Leid tun. Beim Sex kann ich es nicht lassen mir vorzustellen, ich hätte den Körper eines Mannes.

Wenn man eine Maske lange genug trägt, verschwimmt die Grenze zwischen Illusion und Wirklichkeit. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, als Frau zu leben und ggf. mich feminin zu verhalten. Es ist nicht ideal, aber es ist auch kein Weltuntergang. Wenn es einen Zauber gäbe, würde ich mich sofort in einen Mann verwandeln lassen. In einem männlichen Körper hätte ich trotzdem ab und zu lange Haare und würde mich manchmal schminken. Aber Kleider haha. Das geht für mich gar nicht, aber was tut man nicht alles, um nicht forever alone zu sein. Insgeheim träume ich immer noch davon, von einem maskulinen Mann als Mann gesehen und begehrt zu werden. In meinen Fantasien habe ich mich bei meiner eigenen Hochzeit immer im Anzug gesehen. Ich habe mir schon immer eine eigene Familie mit Kindern gewünscht nur stelle ich mir vor die Kinder nennen mich und meinen Mann Papa. Es ist auch als cis Frau schon schwer genug, den passenden Mann fürs Leben zu finden und ich wüsste beim besten Willen nicht wie ich das als trans Mann schaffen sollte. Als trans Mann schwule Männer zu daten, stelle ich mir auch schwer vor. Viele andere trans Männer wird es hier, wo ich lebe, nicht geben – wenn überhaupt. Dann doch lieber cis Frau bleiben, um einen Mann abzukriegen.

Ich fühle mich manchmal total irre und reif für die Klapse. xD Plus Imposter Syndrom. Es gibt Wochen, wo ich sogar vergesse, dass ich ein Mann bin. Und dann gibt es Tage, wo alles wieder hervor kommt. Ich fand Ellen Page schon immer klasse und als ich heute gelesen habe, dass Ellen nun Elliot ist….kam alles wieder hoch. Ich freue mich sehr für ihn. Ich wünschte, ich wäre mutiger.

Vielleicht habt ihr einen Tipp wie ich mit dieser inneren Zerrissenheit umgehen soll? Kennt ihr Menschen, die genau so fühlen und darüber berichtet haben? Es hat auf jeden Fall gut getan das alles mal aufzuschreiben. Danke 🙂

A.

Hi A.!

Was du beschreibst klingt sehr, als wärst du ein schwuler trans Mann. Eventuell käme auch das Label Girlfag in Frage. Im Bezug auf dieses Label habe ich schon öfter Geschichten gelesen, die deine Zerissenheit gut wiederspiegeln, vielleicht lohnt es sich für dich in der Richtung etwas zu recherchieren.

Und du bist definitiv queer genug, auch wenn du nicht permanent darüber nachdenkst. Ungeoutet zu sein ist hart und um das zu verkraften muss man die eigene Queerness manchmal einfach ausblenden. Und das queere Imposter Syndrom haben so unglaublich viele Menschen, die eindeutig queer sind, da befindest du dich in bester Gesellschaft.

Ich denke, es könnte dir gut tun Kontakt zur Community zu suchen. Dort sind auch die Chancen deutlich höher maskuline Männer zu treffen, die Interesse an Männern haben, und diese auch als solche zu erkennen. 😉
Der Kontakt muss aber auch nicht direkt sein zu einem örtlichen queeren Treffpunkt zu gehen. Grade auch im Hinblick auf die aktuelle Situation sind online spaces deutlich besser erreichbar und zudem anonym. Du kannst also sein, wer du willst. Und wenn du letzten Endes doch eine hetero cis Frau sein solltest, bist als questioning Person ein Teil der Community und dort herzlich willkommen!

Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen und wünsche dir viel Kraft und allen Mut, den du brauchst!

Liebe Grüße
Lir

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