Kummerkastenantwort 1.896: Wie kann ich mit Dysphorie umgehen?

CN: Dysphorie

Hi,
ich bin nichtbinär, trans maskulin und bei einer befreundeten Person und einem Elternteil geoutet.
Manchmal komm ich damit klar, dass Freund_innen und Menschen in der Schule denken ich sei ein Mädchen, weil ich weiß das das nicht so ist. Allerdings habe ich sehr oft nach Situationen mit anderen Menschen ein großes Unwohlsein und würde mich am liebsten in meinem Bett verkriechen und alles rausweinen. Dann merk ich richtig wie es sich eng und zusammengeschnürt in meinem Brustkorb anfühlt. Während der Situation geht es meistens noch, aber danach wird das dann immer doller und es ist so eine große Traurigkeit da von der ich in dem Moment denke das sie ewig da bleibt. Ich glaube das ist soziale Dysphorie und es ist oft in Schulsituationen. Manchmal kommt es auch wenn ich einfach nur daran denke das ich bald wieder zur Schule gehen muss oder wenn ich an Schulmomente von früher denke wo mir etwas passiert ist woran sich wahrscheinlich jetzt niemensch mehr erinnert. Ich finde einfach die Vorstellung, dass meine Mitschüler_innen mich wahrgenommen haben und wahrnehmen, ultra unangenehm. Dazu kommt das ich introvertiert bin und soziale Situation mit vielen Menschen mich eh schon anstrengen. Wenn ich dann danach alleine bin und neue Energie tanken könnte geht es mir stattdessen oft so wie oben beschrieben.
Habt ihr Tipps wie ich damit umgehen kann? Oder wie ich im vorhinein den Dysphoriemoment abschwächen oder vermeiden kann das es dazu kommt?
Ich würde am liebsten einfach unsichtbar sein dann müsste ich nicht aussehen und Menschen würden nicht merken das ich da bin, aber das geht schwer.

Ja also das war jetzt ganz schön viel aber vielleicht habt ihr ja tipps zum Umgang mit der Dysphorie?

LG und danke für eure Arbeit.

Hallo du,

Bitte entschuldige, du musstest wirklich sehr lange auf eine Antwort von uns warten!

was du da beschreibst, klingt für mich haargenau wie soziale Dysphorie, also wie sie sich auch oft für mich anfühlt. Ich wünschte, ich könnte dir einen superguten Tipp oder ein Wundermittel dagegen geben, aber ich fürchte, sowas gibt es leider nicht. Es tut mir einfach nur sehr leid, dass es dir so geht.

Was mir geholfen hat und immer noch hilft dabei, mit sozialer Dysphorie umzugehen, ist:

  • mich so viel wie möglich mit anderen trans, nichtbinären und gender non-konformen Leuten zu umgeben – egal ob jetzt in Person oder online oder sonstwie. Daran sehe ich, dass ich nicht allein bin und dass es überall super viele Leute gibt, die daran zusammenarbeiten, dass wir uns alle nicht mehr so fühlen müssen.
  • drüber reden. Am besten mit Leuten, die ähnlich fühlen, aber eigentlich vor allem mit Leuten, die mir zuhören und mich unterstützen. Soziale Dysphorie ist ein bisschen wie Depression – sie redet mir ein, dass ich ganz allein und abgeschnitten von der Welt bin, und dass niemensch mich kennt und versteht. Dagegen aktiv anzukämpfen, hilft mir wirklich sehr.
  • Coming Out. Ja, ich weiß, so einfach ist das nicht. Ein Coming Out ist nicht in jeder Situation und mit allen Leuten sicher, und eins muss dafür bereit sein. Für mich hat es allerdings meist verdammt gut getan, mich in verschiedenen Settings zu outen. Oft wurde es sowieso positiv oder neutral aufgenommen. Aber selbst negative Reaktionen haben mir schon geholfen – ich versuche mal zu erklären, warum. Solange ich Leuten meinen Namen, meine Pronomen und mein Geschlecht nicht gesagt habe, konnten sie es ja nicht besser wissen und ich habe mich schlecht gefühlt, weil das Problem ja bei mir lag. Wenn ich mich geoutet habe und Menschen mich dann misgendert haben, dann konnte ich aber plötzlich wütend sein statt nur traurig – das Problem waren dann die anderen, die es falsch gemacht haben. Wut kann echt ein hilfreiches Gefühl sein; sie kann dabei helfen, negative Gefühle nicht in sich anzustauen, sondern rauszulassen, und sie ist viel motivierender als z.B. Traurigkeit. Kurz gesagt: In einem gewissen Rahmen können auch negative Coming Out Erfahrungen gegen Dysphorie helfen.
  • Coming Out II: Aber um es nochmal zu betonen – die meisten meiner Erfahrungen waren eher gut. Das hat mir sehr geholfen zu sehen, dass die Gesellschaft eben doch Fortschritte macht. Ich bin, wer ich bin, egal, was andere Leute sagen. Aber es ist viel einfacher, ich selbst zu sein, wenn zumindest ein paar Leute auch anerkennen, wer ich bin. Es ist vollkommen in Ordnung, sich zusätzlich Bestätigung von anderen zu suchen.

Ich hoffe, dass bei diesen Sachen zumindest ein bisschen was für dich dabei ist. Ich wünsch dir alles Gute und drücke dir alle Daumen, dass du einen guten Weg für dich findest.

Alles Liebe,
Balthazar

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