Trans*-Abwertung – von außen und von innen
Hinweis: In diesem Text werden selbstschädigendes Verhalten und Suizid erwähnt.
René_ Rain Hornstein wünscht sich das nicht-binäre Pronomen em (im Genitiv ems) und Sternchenformen für sich (z.B. Autor*in). Hornstein hat Psychologie studiert und die Abschlussarbeit über Trans*-Verbündetenschaft geschrieben. Derzeit forscht Hornstein im Rahmen eines Dissertationsprojektes zu internalisierter Trans*-Unterdrückung. Mehr Infos finden sich unter www.rhornstein.de
„Ich finde mich selbst wertlos und nicht liebenswert, weil ich trans* bin. Ich hasse mein trans* Sein. Ich wünschte, ich wäre cis."
So könnte ein Gedanken lauten, den wir trans* Menschen vielleicht manchmal über uns selbst denken. Vielleicht sprechen wir diesen Gedanken auch mal laut aus. Dieser Gedanke ist ein Beispiel dafür, dass wir trans* Menschen uns manchmal selbst abwerten. Um diese Selbstabwertung soll es in diesem Text gehen. Ich werde zuerst etwas über die Abwertung von trans* Menschen von außen schreiben und dann auf die innere Selbstabwertung von uns trans* Menschen eingehen. Für beide Abwertungsformen werde ich Beispiele geben. Und ich werde etwas dazu sagen, welche Funktionen diese Formen der Abwertung haben. In einem zweiten Text werde ich Vorschläge machen, was ich dagegen tun kann, wenn ich mich selbst in Bezug auf mein Trans*-Sein abwerte oder wahrnehme, dass eine von mir gemochte Person sich selbst abwertet.
Äußere Formen der Trans*-Abwertung
Äußere Formen der Abwertung von trans* Menschen können von verschiedenen Quellen kommen. Ich behaupte, dass diese Abwertung überwiegenderweise nicht auf bösen Absichten von einzelnen schlechten Menschen beruht, sondern dass unsere Gesellschaft von Trans*-Abwertung durchdrungen ist. Es ist ein Teil der alltäglichen Kultur, trans* Sein in Filmen, Büchern, Geschichten, Schulmaterialien, Liedern und Bildern als etwas Negatives darzustellen und cis Sein als etwas Erstrebenswertes. Ein Beispiel ist die Zeitschrift Emma und der Sammelband zu Transsexualität von Alice Schwarzer. Das bildet sich auch im Umgang anderer Menschen mit uns selbst ab: Unsere Lehrer*innen, Verwandten, Trainer*innen, Kolleg*innen, Freund*innen und wir selbst sind in dieser Gesellschaft aufgewachsen und haben diese Abwertung von
Diese Abwertung von außen kann sich darin äußern, dass unsere selbstgewählten Namen nicht respektiert werden und stattdessen darauf bestanden wird, unsere alten Namen zu verwenden (auch als Deadnaming bezeichnet). Oder es werden unsere selbst gewählten Pronomen ignoriert, alte binäre Pronomen verwendet und/oder nicht-binäre Pronomen als lächerlich abgetan. Abwertend ist auch das Beharren darauf, dass unser „eigentliches", „wahres" oder „echtes" Geschlecht dasjenige sei, dass uns bei der Geburt zugewiesen wurde und dass wir uns nur als unser aktuelles Geschlecht „fühlen", aber es nicht „in Wirklichkeit" seien. „Du bist eigentlich ein Mann, aber fühlst Dich nur als Frau", könnte so ein abwertender Satz lauten. Uns zuzuschreiben, dass wir psychisch krank oder gar psychisch gestört seien, ist ebenfalls eine trans* abwertende Strategie und nennt sich Psychopathologisierung.
Innere Formen der Trans*-Abwertung
Es gibt also vielfältige äußere Quellen, die meine Trans*-Identität abwerten. Es ist also nicht verwunderlich, dass diese Abwertungen Teil meines Inneren werden. Ich brauche gar keine anderen Menschen, um mich selbst abzuwerten, sondern kann das ganz wunderbar alleine tun. Diese verinnerlichte Selbstabwertung meines Trans*-Seins äußert sich auf verschiedene Weisen: Zum Beispiel gibt es innere Stimmen, die mich und mein Trans*-Sein abwerten. Das können Stimmen sein, die sich innerlich wie Erinnerungen von Stimmen echter anderer Menschen anhören oder es klingt wie meine eigene Stimme und wie ein Teil von mir, der innerlich mit mir spricht. Die sagen dann etwas wie „Hab Dich nicht so, die anderen haben doch Recht, wenn sie sich darüber beschweren, dass Dein neuer Name und Dein neues Pronomen so anstrengend für sie sind." Oder sie sagen: „Zieh das nicht an, darin siehst Du zu sehr stereotyp trans* aus, zieh lieber was unauffälligeres, etwas weniger transiges an." Dieses abwertende Selbstgespräch ist eine Form für diese verinnerlichte Selbstabwertung.
Eine andere Form ist es, den eigenen Geschlechtsausdruck zu zensieren und sich selbst in der Wahl von Kleidung, Pronomen und Namen an Cis-Normen anzupassen. Dies geschieht nach dem Motto: „je weniger trans*, desto besser". Hier ist ein cisnormatives Ideal von Aussehen am Werk, dass ein Passing als cis anstrebt. Die verinnerlichte Selbstabwertung kann sich auch darin äußern, dass ich negativ über Trans*-Sein an sich oder trans* Menschen im Allgemeinen spreche, obwohl ich doch selbst trans* bin. Grundsätzlich bedeutet das, der Aussage zuzustimmen, „trans* Menschen sind schlecht" und damit auch „ich bin schlecht, weil ich trans* bin". Es könnte auch so weit gehen, sich zu wünschen, cis zu sein, wie in dem zu Anfang des Textes zitierten Satz.
Wenn andere Menschen meine Grenzen überschreiten und ich dabei denke „ja, ich hab das verdient, so schlecht behandelt zu werden, ich bin ja auch nervig/schlecht/nicht liebenswert/etc.", dann stimme ich meiner Abwertung innerlich zu. Sich also gegen Grenzüberschreitungen zu wehren und das eigene Wohlbefinden ernst zu nehmen, ist eine Handlung gegen verinnerlichte Abwertung.
Das drastischste Beispiel für verinnerlichte Trans*-Abwertung ist Gewalt gegen sich selbst: Wenn ich mich selbst, meine Gesundheit und meinen Körper verletze oder vernachlässige, dann stimme ich dem zu, dass ich nichts wert bin und ich (von mir) schlecht behandelt werden darf. In letzter Konsequenz kann sich selbst umzubringen als Zustimmung zu verinnerlichter Abwertung verstanden werden. Sich selbst Gefahren und Risiken auszusetzen, wie z.B. durch riskantes Autofahren, Drogengebrauch oder ungeschützten Sex, kann in dieser Hinsicht auch als selbstschädigendes Verhalten verstanden werden und wird in der Forschung überdurchschnittlich häufig bei LSBTIQ-Menschen festgestellt. Wir sind eben vielfältigen Belastungen und Abwertungen in der Gesellschaft ausgesetzt und manchmal äußert sich das genau auf diese traurigen Arten und Weisen.
Gesellschaftliche Funktionen von verinnerlichter Trans*-Abwertung
Warum werten wir Trans*-Menschen uns selbst ab? Wir tun das, weil wir in Gesellschaften aufgewachsen sind, die uns abwerten und wir diese Abwertung übernommen haben. Wir glauben, dass wir nichts wert sind und stimmen der Gesellschaft darin zu. Unsere trans*feindliche Alltagskultur hat zum Ziel, zu verhindern, dass Menschen zu ihrem Trans*-Sein stehen und sich für ihre eigenen Interessen einsetzen. Dieses Ziel stimmt überein mit dem patriarchalen gesellschaftlichen Interesse, dass Menschen sich in heteronormative Kleinfamilien begeben und die Geschlechterordnung nicht in Frage stellen.
Wenn wir uns nun selbst abwerten, dann übernehmen wir die Arbeit der Gesellschaft und der Menschen um uns herum. Es kann soweit kommen, dass wir uns nicht einmal anderen oder uns selbst gegenüber outen, weil unsere verinnerlichte Trans*-Abwertung uns davon abhält, unsere Trans*-Gefühle wahrzunehmen, sie zuzulassen und ihnen gemäß zu handeln.
Verinnerlichte Trans*-Abwertung beinhaltet wie erwähnt, andere trans* Menschen abzuwerten und uns z.B. für sie und ihr Trans*-Sein zu schämen. Diese Gefühle hindern uns daran, mit anderen trans* Menschen in Kontakt zu kommen und uns vielleicht sogar miteinander zu verbünden. Diese Vereinzelung ist wiederum im patriarchalen Interesse, denn dann können wir nicht als Gruppen zusammenkommen und genügend Macht aufbauen, um die gesellschaftliche Trans*-Feindlichkeit zu kritiseren und herauszufordern. Die eigene verinnerlichte Trans*-Abwertung sorgt also auch dafür, dass trans*-feindliche gesellschaftliche Strukturen nicht in Frage gestellt und aufrechterhalten werden.
Anmerkung
Dieser Artikel basiert auf einem wissenschaftlichen Überblicksartikel, den ich 2021 veröffentlicht habe. Dort finden sich auch die Quellenangaben für die Forschung, die ich im Text erwähnt habe. Mein Überblicksartikel hat folgende Literaturangabe: Hornstein, René_ Rain (2021): Giftkunde der internalisierten trans* Unterdrückung: Zum Stand der Forschung und den Möglichkeiten einer solidarischen trans* Psychologie. In Esto Mader, Joris A. Gregor, Robin K. Saalfeld, René_ Rain Hornstein, Paulena Müller, Marie C. Grasmeier, Toni Schadow (Hg.): Trans* und Inter*Studien — Aktuelle Forschungsbeiträge aus dem deutschsprachigen Raum. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.