Wir veröffentlichen den BMI-Entwurf für die TSG-Reform

Nachdem die BZ und auch der Focus wenig später dieses Frühjahr über einen Reformentwurf fürs Transsexuellengesetz berichteten, wurden wir hellhörig. Der Entwurf dieses Mal kommt aus dem Bundesinnenministerium. Der letzte Regierungsentwurf, der auch schon vollkommener Schrott war, wurde vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz ausgearbeitet. In der Zwischenzeit hatten auch Grüne und FDP Entwürfe vorgelegt. Entwürfe, die tatsächlich was taugen würden.

In diesem Artikel besprechen wir den neuen Unions-Entwurf, den Unwillen des Ministeriums, ihn zugänglich zu machen. Und veröffentlichen ihn.

Spurensuche – im Bundestag…

Nach den ersten Berichten über den Entwurf begann für viele – unter anderem auch die Fraktion der Grünen im Bundestag – eine Spurensuche. Was steht in diesem Entwurf noch so alles drin? Wann wird er ins Parlament eingebracht? Minister Seehofer und sein Ministerium hatten bisher nichts zum Entwurf berichtet und ihn auch nicht an die Fraktionen im Bundestag gegeben. Sven Lehmann für die Grünen fragte formal an:

Und was sagt das Ministerium? “Wir arbeiten noch dran, es gibt nichts zu berichten.” Nun offensichtlich gäbe es was zu berichten, wenn Zeitungsredaktionen auszugsweise aus dem Entwurf zitieren. Nämlich entweder, dass gewisse Teile fertig sind. Oder vielleicht, dass es den Entwurf noch gar nicht gibt und es sich um Falschmeldungen handelt.

… und außerhalb

Um herauszufinden, was Behörden intern arbeiten, gibt es das Informationsfreiheitsgesetz. Darüber kann jede*r Informationen zur Arbeit von Behörden anfragen. Unter anderem Briefverkehr von Behörden, Termine oder auch beauftragte Stellungnahmen und Gutachten. Xenia hat das also mal durchgespielt und eine Anfrage an das BMI gestellt.

Die vorzeitige Offenlegung des Standes der Verhandlungen würde die weiteren Beratungen zu diesem Thema beeinträchtigen.

Bei den angeforderten Unterlagen handelt es sich somit um Vorgänge der behördlichen Meinungs· und Willensbildung sowie Abwägung (Beratungsprozess), deren Preisgabe eine unbefangene Entscheidungsfindung sowie wirksame Verwaltungsarbeit gefährden und die Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs erschweren würde. Eine ergebnisoffene, vertrauensvolle Beratung wäre nicht mehr möglich, wenn bestimmte Positionen bereits im Vorfeld in der Öffentlichkeit bekannt wären und diskutiert würden.

Ablehnung der Informationsfreiheitsanfrage zum Entwurf für die TSG-Reform

Das Ministerium sagt also, es wäre nicht mehr möglich, weiter am Entwurf zu arbeiten, wenn bestimmte Positionen der Öffentlichkeit bekannt würden. Dabei sind diese Informationen ja schon draußen in der Öffentlichkeit. Es gibt Berichterstattung dazu. Es wird wörtlich daraus zitiert.

Veröffentlichung

Und dann ist der Entwurf im Netz aufgetaucht. Den kursierenden Entwurf veröffentlichen wir heute hier. Für alle, die darüber berichten wollen, für alle, die ihn analysieren wollen, für alle, die sich beim Innenministerium beschweren wollen. Kurzum: Damit alle, die wollen, sich an der Debatte beteiligen können.

Was steht im Entwurf?

Der Entwurf regelt die Verfahren zur Vornamens- und Personenstandsänderung neu. Dabei sieht der Entwurf getrennte Regelungen für Trans- und Intergeschlechtlichkeit vor.

Änderung bei Intergeschlechtlichkeit

Der Plan bei Intergeschlechtlichkeit ist, weiterhin eine Änderung im Standesamt zu ermöglichen. Voraussetzung hier ist weiterhin eine Bescheinigung über eine “Variante der Geschlechtsentwicklung”. Neu dazugekommen ist eine Definition, was das Gesetz sich unter einer solchen Variante vorstellt. Eine solche Variante läge genau dann vor, “wenn die Person wegen der das Geschlecht bestimmenden Erbanlagen, der hormonalen Anlagen und des Genitals weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen werden kann”. Diese Hürde ist gewaltig. Es wäre nicht ausreichend, wenn eines genannten Kriterien zutrifft. Das “und” bedingt, dass alle drei zutreffen müssen.

Zusätzlich ist für unter 14-jährige intergeschlechtliche Kinder vorgesehen, dass Eltern eine entsprechende Erklärung abgeben können. Zwischen 14 und 18 müssen Eltern zustimmen. Falls die Eltern nicht einverstanden sind, kann das Familiengericht diese stattdessen geben. Damit würden Eltern von unter 14-jährigen über den Geschlechtseintrag ihrer Kinder verfügen können. Das klingt nicht überzeugend.

Änderung bei Transgeschlechtlichkeit

Im Vergleich zum TSG gibts hier einige Änderungen. Das Verfahren verbleibt beim Gericht. Statt zwei Gutachten ist lediglich eine Beratungsbescheinigung verlangt. Das klingt erstmal besser, aber stellt keine echte Verbesserung dar. Es bestünde weiterhin ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen antragsstellender und begutachtender Person. Nicht zuletzt, da die Bescheinigung weiterhin das ernsthafte und dauerhafte Trans-Sein bestätigen muss. Das ist keine echte Veränderung und bleibt abzulehnen.

Für Minderjährige bleibt es tatsächlich bei gerichtlich bestellten Gutachten. Es ist nur noch ein -statt bisher zwei- Gutachten notwendig. Auch das ist keine wirkliche Veränderung. Erziehungsberechtigte müssen dem Verfahren aber zustimmen. Falls die Zustimmung nicht gegeben wird, kann auch hier das Familiengericht die Zustimmung ersetzen. Für unter 14-jährige steht im Entwurf kein Weg mehr zur Vornamens- oder Personenstandsänderung offen. Der Gegensatz zur Regelung für intergeschlechtliche Kinder an dieser Stelle ist denkbar riesig.

Was fehlt?

Neben diesen nicht hilfreichen Veränderungen fehlt auch noch eine ganze Menge. Geburtsurkunden eigener Kinder werden weiterhin nicht angepasst. Es gibt eine Erweiterung für das Offenbarungsverbot, aber es sind weiterhin keine Strafen bei Verstößen vorgesehen. Misgendering und Deadnaming taucht nicht auf. Wer einen Nachnamen hat, der das Geschlecht anzeigt, kann ihn nicht mit-ändern. Medizinisch nicht notwendige Operationen an intergeschlechtlichen Kindern blieben erlaubt. Ansprüche auf Gesundheitsleistungen für Personen, die trans oder inter sind, sind keine neuen vorgesehen.

Fazit

Für eine umfassende und abschließende Beurteilung ist es noch zu früh. Das Ding ist ausdrücklich als Entwurf gekennzeichnet, was jederzeit die Option offen lässt, einfach alles noch schlimmer zu machen.

Was sich die CSU darunter verspricht, konservativen Kreisen, denen jede TSG-Reform zu weit geht, Einsicht zu geben, bevor dem Parlament berichtet wird, lässt sich wohl auch nur mutmaßen.

Nach der Vorlage des Selbstbestimmungsgesetzes durch die Grünen hängt die Latte ziemlich hoch. Der Entwurf ist schlüssig, durchdacht und umfassend. In der Anhörung im Innenausschuss gab es keine fundierten Gegenargumente, die Verfassungsbeschwerde der GFF gegen das Transsexuellengesetz ließe sich eins zu eins argumentativ auf diesen Entwurf übertragen und ändern würde sich durch diesen quasi nix?

Kurzum. Es wird Zeit für eine Bundestagswahl und dafür, Kandidierende drauf festzunageln, endlich Trans- und Interrechte ernstzunehmen.

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