Update zum Selbstbestimmungsgesetz: Hoffnungsschimmer mit Ecken und Kanten

Es ist so um die drei Jahre her, dass das Bundesjustizministerium versucht hat, eine TSG-Reform an den Start zu bringen. Reden wir lieber nicht drüber.

Es ist ungefähr ein Jahr her, dass im Bundestag Entwürfe fürs Selbstbestimmungsgesetz nicht angenommen wurden. War bisschen wild, wie die SPD in der Debatte das alles bis auf Kleinigkeiten ganz nice fand und dann gegen die Entwürfe stimmte – und in dem Jahr, wo die Entwürfe in den Ausschüssen lagen, auch nichts an den für sie kritischen Punkten diskutiert hatten.

Fast forward zum jetzigen Ampel-Koalitionsvertrag. Uns wurden Dinge versprochen. Viele Dinge. Unter anderem: "Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen."

Eckpunkte

Diese Woche gab es eine Pressekonferenz mit der federführenden Ministerin Lisa Paus (Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und Bundesminister Marco Buschmann (Justiz). Dort stellten die beiden Eckpunkte für das Selbstbestimmungsgesetz, wie sie es nun auf den Weg bringen wollen vor. Und die sehen etwa so aus:

  • TSG kommt weg; keine Gutachten, keine verpflichtende Beratung, einfaches Verfahren im Standesamt
  • ein einheitliches Verfahren für inter, nicht-binäre und trans Personen
  • Es gibt Altersgrenzen:
    • u14 Sorgeberechtigte können Antrag stellvertretend stellen
    • 14 – 18: Wenn Eltern ablehnen, kann das Familiengericht Zustimmung ersetzen
    • ab 18: können Änderung selbst direkt veranlassen
  • Stärkung von Beratungsstellen. sachkundig, ergebnisoffen und kostenlos.
  • Mindestens 1 Jahr Wartezeit vor einer erneuten Änderung
  • bußgeldbewährtes Offenbarungsverbot
  • Entschädigungen für Zwangsscheidungen und Körperverletzungen durch einst übliche/vorgeschriebene Behandlungen

Nun. Wer schon länger an diesem Zirkus dran ist, dem wird aufgefallen sein, was hier nicht steht:

  • Abstammungsrecht
  • Anpassung von geschlechtsspezifischen Nachnamen
  • Zugang zu Transitionsmaßnahmen
  • Regelungen für Sport

Mein Senf dazu

Das schonmal ein guter Anfang. Da ist nun Bewegung in der Sache, es ist klar, wo die Reise hingeht. Und niemand hat da ne Beratungspflicht reingeschrieben. Das war sehr wichtig, weil sonst hätte ich vermutlich einige Dinge (therapeutisch) anzünden müssen.

Fürs Abstammungsrecht und für die Anpassung geschlechtsspezifischer Nachnamen und Zugang zu medizinischer Transition wird auch schon intern gearbeitet, wird aber nicht Teil vom Selbstbestimmungsgesetz. Ich vertrau drauf, das wird kommen. Und wird hoffentlich auch gut. Aber wird halt dauern. Noch länger dauern.

Die Sache mit dem Sport ist bisschen tricky. Regelwerke kommen klassischerweise von Sportverbänden und haben irgendwie das Ziel, eine gewisse Fairness zu garantieren. Der Staat hält sich dabei raus. Was er aber tun könnte, sind Rahmen festlegen, in denen Regeln festgelegt und begründet werden müssen. Warum? Weil dann Menschen, die ungerechtfertigt ausgeschlossen werden, einfachere Beschwerde- oder Klagewege offen hätten.

Das größte fragwürdige Ding darin, ist für mich die Handhabung von Minderjährigen und deren Zugang zum Verfahren. Unter 14 ist schwierig, seh ich ein. Trotzdem glaube ich, das könnte so geregelt sein, wie der Plan für die 14- bis 18-jährigen: Person kann das veranlassen, wenn die Eltern damit okay sind. Für die Älteren finde ich aber auch das super schwierig. Die Leute sind prinzipiell strafmündig, können ohne Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten aus der Kirche austreten oder die Konfession wechseln – aber aufs Standesamt gehen und Dinge ändern lassen, ist dann zu viel? Und in welcher Welt haben Teens die Resourcen und die Möglichkeit, mal eben gegen ihre Familie, von der sie nicht nur finanziell abhängig sind, zu klagen? Das irgendwie bisschen dünn und erschließt sich mir nicht so richtig.

Sind wir jetzt happy?

So halb. Niemand hat sich ne Beratungslösung verkaufen lassen. Gut. Das Ding ist im Werden. Gut. Minderjährige haben prinzipiell Zugang zum Verfahren. Gut.

Eine Menge zu tatsächlicher Selbstbestimmung fehlt aber in den Eckpunkten noch. Ein Nachname, der mich nicht direkt mit-outet. Eine Geburtsurkunde für mein Kind, wo mein Name auch draufsteht. Kahlschlag in der Verweigerungsbürokratie bei den Krankenkassen – bei starkem und notwendigem Schutz für inter Kinder.

Und der Elefant im Raum: Warum dauert das so lange? Ihr habt von vor einem Jahr zwei Entwürfe. Das BMFSFJ hat zwei mögliche Entwürfe aus der imag trans/inter. Was überhaupt "wir haben die Eckpunkte fertig" für ne Aussage? Eckpunkte sind kein formales Ding in dieser Demokratie. Wenn ich ein Gesetz haben will, muss der Entwurf in den Bundestag, und kommt da entweder rein, weil der Bundesrat oder Bundesregierung einen hinschicken oder Bundestag selbst einen einbringt. Und wenn "Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen." aus dem Quark kommen soll, dann muss eines dieser drei Dinge passieren. Keine Eckpunkte, kein Rumgeeier. Sondern ein Entwurf, Zeit für Verbände das zu kommentieren und Rückmeldung zu geben, Zeit für die Ausschüsse im Bundestag das miteinzuarbeiten all das. Und dann den ganzen Zirkus nochmal für Abstammungsrecht und all das?

In anderen Worten: Die Botschaft höre ich ganz gern, aber macht mal hinne jetze.

mehr dazu

Wer an einer sachlicheren Auseinandersetzung interessiert ist: Einige Verbände haben zu den Eckpunkten schon Stellung bezogen. Darunter:

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