Kummerkastenantwort 1.791: Wie spreche ich über die Erfahrungen, die ich vor meiner Transition gemacht habe?

Hallo liebe Menschen,

als transidenter Mann habe ich häufig nicht das Gefühl, über spezielle Erfahrungen sprechen zu können, die ich vor meiner Transition gemacht habe. Manche Männer bezeichnen das als „misdirected misogyny“, obwohl ich schon von trans Frauen gehört habe, dass sich trans Männer durch solche Begriffe „nur unbedingt selbst misgendern wollen“. Wie spricht man denn nun darüber? Transmisogyny beschreibt die spezifischen Erfahrungen von trans Frauen; ein richtiges Äquivalent für trans Männer existiert meines Wissens nicht, weil man eben nicht als Mann, sondern ’nur‘ als Transmensch diskriminiert wird. Der Terminus ‚Transphobie‘ passt allerdings auch nicht so ganz, denn Transphobie haben die Männer, die mich in meiner Vergangenheit beleidigt, begrabscht, belästigt oder über mich hinweg gesprochen haben, sicherlich nicht im Kopf gehabt.

Ich bin der Meinung, diese fehlende Möglichkeiten resultieren leider darin, dass sich manche trans Männer von TERFs ködern und rekrutieren lassen – denn ständig aus der eigenen Community zu hören, das eigens Erlebte ist ja total absurd und im Grunde nur erdacht, befremdet stark.

Also: Wie spreche ich darüber? Häufig wähle ich Formulierungen wie „Aggressionen, die in ihrer Äußerungsform dem Sexismus gegen Frauen ähneln“ oder „misogyn gemeint“, aber auch hier unterbricht man mich oft. Weil ich ein Mann bin – und da eben nichts erlebt haben kann.

Würde mich über Hilfe von trans Männern, trans Frauen und nicht-binären Menschen freuen.

Danke!

Hej!

Ich bin selbst nichtbinär und werde weiblich wahrgenommen, und fühle das Problem sehr nach. Fakt ist, dass alle Menschen, die in ihrem Leben von anderen als weiblich gelesen werden oder früher wurden, Misogynie in Form von z.B. Sexismus, Belästigung, Gewalt erleben/erlebt haben. Das betrifft also Frauen (cis wie trans), trans Männer, und einige nichtbinären Menschen eben auch. Dir diese Erfahrungen abzusprechen, ist in meinen Augen transfeindlich und misogyn zugleich, weil deine Wahrheiten, deine Realitäten als unwahr abgetan werden.

Misdirected misogyny (zu Deutsch vllt: fehlgeleitete Misogynie) finde ich eigentlich keinen schlechten Ausdruck, weil es ja aussagt, dass die Misogynie eben jemandem angetan wurde, der/die*r keine Frau ist. Gleichzeitig finde ich aber auch, dass die Gewalt, die wir da auf verschiedenen Ebenen erleben oder erlebt haben, am Ende eben doch gleich ist, und unterschiedliche Begriffe uns wieder trennen, wo wir zusammen doch viel stärker gegen sie kämpfen können. Du siehst, es ist nicht ganz leicht, diese Frage zu beantworten, weil sie eben viele unterschiedliche Facetten hat.

Was mir ganz wichtig ist, dir mitzugeben, ist dass deine Erfahrungen und alle Gefühle und Emotionen, die du damit verbindest, valide sind. Sie sind Misogynie entsprungen und du darfst das Wort absolut dafür benutzen.

Ich hoffe, ich konnte dir zumindest ein wenig weiterhelfen. Wenn du noch weitere Gedanken und Fragen hast, meld dich gerne noch mal.

Ganz liebe Grüße,
Valo

Das könnte dich auch interessieren …