Von Männern und Spiegeln: Wie Xenia eine Ausrede fand, endlich über Musik zu reden
Xenia gehört zu den Leuten, die das Queer Lexikon mitgegründet haben und kümmert sich hier hauptsächlich um Computerkram oder bloggt zu thematisch relevanten Gesetzentwürfen und Urteilen vor allem wenn es um die Rechte von Menschen, die trans sind, geht. Warum? Weil das alles Mist ist. Und eigentlich würde Xenia lieber was schönes machen. Musik zum Beispiel. Oder wenigstens drüber reden. So wie heute.
Repräsentation ist zwar nicht alles, aber ohne Repräsentation ist ziemlich viel mindestens nix. Wenn ich nicht weiß, dass queere Menschen existieren, wird sowas wie Selbstfindung super schwierig. Noch schwieriger als das ohnehin schon ist. Und gerade deswegen freuen wir uns nach wie vor über Coming Outs von bekannten Personen. Weil Queerness da sichtbarer wird. Jetzt gibt es auf der Welt nur so und so viele Leute und die sind einerseits nicht alle bekannt, andererseits aber auch nicht alle queer und nicht alle von denen, die beides sind, wollen überhaupt ein öffentliches Coming Out. Das ist ok. Neben realen Personen können wir uns aber auch in Kunst queere Repräsentation schaffen. In Geschichten. In Filmen. In Musik.
Dazu hab ich mal einen ikonischen Song eingesammelt: Man in the Mirror.
Xenia, was willst du mit dem Kram? Der ist einerseits älter als meine Oma und andererseits ist Michael Jackson jetzt nicht gerade als queere Ikone oder für seine queeren Perspektiven bekannt.
Ne. Ich rede ja auch nicht von Michael. Ich rede nur über seinen Song. Und darüber, dass ihn wer anderes gesungen hat. Coverversionen bringen Songs neue Perspektiven. Manche darüber, dass Songs ganz neu gebaut werden. Manche darüber, dass sich durch die Person, die sie performt, neue Perspektiven ergeben. Das alles nichts Neues, nichts spektakuläres. Das ist, warum Menschen Songs covern. Aber: genau das großartige an dieser Sache. Weil der Refrain eine völlig neue Ebene von Bedeutung bekommt – weil die exakt selben Worte nur dadurch, dass sie dreißig Jahre später wer anderes in ein Mikrofon singt, dann doch sehr anders sind.
Dieser Refrain, den ich noch kenne, weil ich alt bin, geht so: I’m starting with the man in the mirror. I’m asking him to change his ways. And no message could have been any clearer. If you wanna make the world a better place. Take a look at yourself and then make a change.
Wie wird da jetzt was derart revolutionäres draus? Was queeres? Nun. Ryan, jetzt der Mann vorm Spiegel, ist trans. Und so ein Spiegel ist das direkteste, was wir an Außensicht von uns selbst bekommen können. Sich selbst soweit wahrzunehmen und anzuerkennen, um zu sagen: Hier, ich fang jetzt bei dieser Gestalt da im Spiegel an, bei mir und schau wie da was draus wird, auf das ich mich einlassen will und kann – das ist ein gewaltiges, mächtiges und auch subversives und super queeres Ding, was Ryan da besingt.
Ob ich trans bin, ist keine Entscheidung. Wie ich trans bin und was ich damit tue, ist eine. Immer wieder neu. Das ist – für mich – genau das, was Ryan einerseits festmacht, in dem er sich als den Mann in seinem Spiegel wahrnimmt und gleichzeitig auch neu verhandelt, in dem er beschließt, Dinge für sich zu ändern. Und so ist für viele trans sein eine lebenslange Erfahrung. Immer in Veränderung, aber auch immer da.
Wenn das jetzt Interesse geweckt hat, wie das klingt und was da so passiert: Der Song heißt Man in the Mirror und Ryan Cassata hat die Aufnahme 2016 auf seinem Album Shine rausgebracht. Wer noch mehr von ihm hören will, und rausfinden, wie seine Musik noch so klingt: Dieses Jahr kam von ihm ein Album namens The Witches Made Me Do It, das genau so heißt wie sein Titelsong. Dritte und letzte Empfehlung, dieses Jahr als Single veröffentlicht: Gender Binary. (Die Verlinkungen gehen zu Spotify – zu finden sind die Songs aber auf allen gängigen Streamingplattformen.)
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