Phantastische queere Rechte und wo sie nicht zu finden sind

Content Notes: Corona, Transfeindlichkeit, Diskriminierung

Die Bundesregierung hat uns da mal was versprochen. Quasi. Doch der Reihe nach: Ich habe ein bisschen in der Vergangenheit rumgegraben und etwas gefunden. Den Beschluss Nummer 2048 aus dem Jahr 2015 vom Europarat. Jaja, ist gut Xenia, sagt ihr, wer ist dieser Rat? Und was steht in diesem Beschluss? Der Europarat, bitte nicht mit dem Europäischen Rat verwechseln, sind quasi die Außenminister*innen von allen Staaten in Europa und ein kleines Parlament, in das die Parlamente der Mitgliedsstaaten Leute entsenden. Der Rat beschließt dann Dinge, um zu vereinheitlichen, wie Sachen bei den Mitgliedsstaaten gemacht werden sollen. Bei der Resolution 2048 haben im übrigen alle deutschen Stimmberechtigten dafür gestimmt.

Jaja, und was haben die Menschen da jetzt beschlossen?

Der Beschluss

 The Assembly calls on member States to:
as concerns legal gender recognition:

– develop quick, transparent and accessible procedures, based on self-determination, for changing the name and registered sex of transgender people on birth certificates, identity cards, passports, educational certificates and other similar documents; make these procedures available for all people who seek to use them, irrespective of age, medical status, financial situation or police record;

– abolish sterilisation and other compulsory medical treatment, as well as a mental health diagnosis, as a necessary legal requirement to recognise a person’s gender identity in laws regulating the procedure for changing a name and registered gender;

– remove any restrictions on the right of transgender people to remain in an existing marriage upon recognition of their gender; ensure that spouses or children do not lose certain rights;

–  consider including a third gender option in identity documents for those who seek it;

– ensure that the best interests of the child are a primary consideration in all decisions concerning children;

Resolution 2048 (2015) des Europarates 6.2.

Ich möchte da mal Stück für Stück drüber gehen, was allein in diesem Teil des Beschlusses festgehalten wurde. Beschlüsse des Europarates werden nicht automatisch zu Gesetzen in den Mitgliedsstaaten, sondern sind Aufforderungen an diese, dort Gesetze in Kraft zu setzen, die diese Beschlüsse umsetzen.

Verfahren

Der Rat ruft die Staaten zu Folgendem auf, was die legale Anerkennung von Geschlecht angeht: Schnelle, transparente und zugängliche, auf Selbstbestimmung beruhende Verfahren für das Ändern des Namens und eingetragenen Geschlechts von trans Menschen auf ihren Geburtsurkunden, Ausweisen, Pässen, Zeugnissen und vergleichbaren Dokumenten zu entwickeln; diese Verfahren für alle, die sie nutzen wollen, unabhängig von Alter, Vorerkrankungen, finanzieller Situation und möglichen Vorstrafen verfügbar zu machen;

Der erste Punkt fordert die Einführung von Verfahren zur Vornamens- und Personenstandsänderung, die quick, transparent and accessible sind. Schnell, transparent und zugänglich. Das soll für alle Arten von offiziellen Papieren gelten, Geburtsurkunde, Ausweis, Reisepass, Zeugnisse. Für wen sollen diese Verfahren möglich sein? Für alle Menschen, die sie nutzen wollen, egal wie alt sie sind, wie viel Geld sie haben, welche Krankheiten sie haben, oder ob sie eine Akte bei der Polizei haben.

Wegfall von notwendigen Diagnosen

Der Rat ruft die Staaten zu Folgendem auf, was die legale Anerkennung von Geschlecht angeht: …Sterilisierungen und andere erzwungene medizinische Behandlungen, sowie Diagnosen über die psychische Gesundheit als notwendige rechtliche Voraussetzung zur Anerkennung der Geschlechtsidentität einer Person in Gesetzen über das Verfahren zur Änderung des Namens und eingetragenen Geschlechts abzuschaffen;

Viele Staaten setzten oder setzen voraus, dass Personen, die ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, Nachweise darüber erbringen müssen, dass sie psychisch gesund sind. Zu den Voraussetzungen gehört oft ebenso, dass eine Sterilisation statt gefunden hat, also die anstragsstellende Person weder Kinder bekommen noch Kinder zeugen kann.

Das vorauszusetzen stell allerdings einen klaren Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit dar. Kein Staat darf verlangen, dass sich irgendwer solchen Behandlungen unterziehen muss, um andere Rechte wahrnehmen zu können.

Ehe und Familie

Der Rat ruft die Staaten zu Folgendem auf, was die legale Anerkennung von Geschlecht angeht: … Jegliche Einschränkungen auf das Recht von trans Menschen, in einer bestehenden Ehe zu verbleiben, wenn ihr Geschlecht anerkannt wird, zu beseitigen; zuzusichern, dass Ehegatte oder Kinder bestimmte Rechte nicht verlieren;

Weiterhin fordert die Resolution, dass die Änderung des Geschlechtes keine Auswirkungen auf eine mögliche geschlossene Ehe haben darf. Genausowenig darf die Partnerperson oder Kinder irgendwelche Rechte verlieren.

Diese Forderung besteht, weil in vielen Ländern die Regelungen zur Geschlechtsänderung in Zeiten erlassen wurden, in denen einvernehmlicher, gleichgeschlechtlicher Sex, genauso wie gleichgeschlechtliche Ehen verboten waren. Wenn eins jetzt das eigene Geschlecht ändern könnte, wären diese Verbote komplett ausgehebelt. Um das zu verhindern, wurden die Rechte von trans Menschen weiter eingeschränkt.

Dritte Option

Der Rat ruft die Staaten zu Folgendem auf, was die legale Anerkennung von Geschlecht angeht: … Die Einführung einer dritten Geschlechtsoption in Ausweisdokumenten für diejenigen, die dies wünschen, zu erwägen;

Die Mitgliedsstaaten werden weiterhin aufgerufen auch eine dritte Option für den Geschlechtseintrag anzubieten. Eine Option für einen dritten Eintrag. Da steht nicht, werden aufgerufen, sich ein drittes Geschlecht auszudenken. Das ist immer noch was anderes und meine Freund*innen und ich sollten anfangen, alle zu boxen, die von dem dritten Geschlecht reden.

Kinder

Der Rat ruft die Staaten zu Folgendem auf, was die legale Anerkennung von Geschlecht angeht: … Zu gewährleisten, dass das Kindeswohl bei allen Entscheidungen, die Kinder betreffen, oberste Priorität hat;

Im letzten Unterpunkt greift der Rat nochmal Kinder auf. Fordert, dass bei Entscheidungen, bei denen es um Kinder geht, immer deren Interessen im Mittelpunkt stehen sollen.

Das unterstützt zum einen Kinder und Jugendliche, die trans sind, direkt, da bisher auf deren Bedürfnisse selten eingegangen wird oder es rechtlich erst gar keine Möglichkeiten für Namens- oder Geschlechtseintragsänderungen bei Jungendlichen gibt. Das fängt schon einen Schritt früher an: Menschen unabhängig ihres Alters in ihrem Geschlecht leben lassen – und niemandem, auch keinen Jugendlichen und keinen Kindern eine Geschlechterrolle aufzwingen.

Ebenso betrifft das aber Kinder von Eltern, die trans sind: da so zum Beispiel im Adoptionsrecht sicher gestellt werden müsste, dass allein das Trans-sein von Elternteilen sie nicht als ungeeignet, Kinder zu adoptieren und zu erziehen, deklariert.

Fazit

Mit den Aufforderungen lässt sich arbeiten. Einfache Verfahren, Sterilisationsverbote, Wegfall der Gutachtenpflicht und endlich auch das Mitdenken von jüngeren Menschen sind schon mal wirklich sehr gut.

Und die Resolution besteht ja nicht nur as dem zitierten Teil. Darüber hinaus gibt es darin auch Forderungen, bessere Antidiskriminierungsgesetze zu machen, Lehrpersonal, Polizeibeamte und Menschen in Gesundheitsberufen für trans Themen zu schulen und zu sensibilisieren. Überall dort wäre Aufklärung dringend nötig, aber das einzige was häufig zu finden ist, sind Ahnungslosigkeit, Vorurteile und ganz viel „oh, das hatten wir noch nie“.

Die Resolution erkennt außerdem an, dass die Menschenrechte von trans Personen, auch in den Mitgliedsstaaten, ständig verletzt werden. Zuletzt: Die Resolution sieht bei allen Punkten, an denen durch die Resolution Reformen verlangt werden, immer auch vor, dass Menschen, die trans sind, und Interessensvertretungsgruppen miteinbezogen werden sollen. Insgesamt vielversprechend.

Und die Umsetzung

In Deutschland ist genau gar nichts passiert was das angeht. Nichts. Ein Nixle in einem Büxle. Ein stinkender Scheißdreck, nämlich.

Jetzt sagt ihr wahrscheinlich, halt, Xenia, die dritte Option haben wir doch bekommen. Ja, die haben wir in der knappest möglichen Fassung bekommen. Darüber rege ich mich ein andermal auf. Die haben wir bekommen, weil unser eigenes Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung gezwungen hat, da mal den Hintern hochzubekommen.

Dann sagt ihr vielleicht, aber Xenia, Ehen werden nicht mehr geschieden, wenn eine der verheirateten Personen amtlich ihr Geschlecht ändert. Ja, richtig, wird es nicht mehr. Seit 2005, weil das Bundesverfassungsgericht die Regelung da schon gekippt hat. Aber der Mist steht immer noch im Gesetz und darf lediglich nicht angewendet werden. Und wird da stehen, bis jemand eine Änderung des Gesetzes beschließt. Also: Zehn Jahre vor der Resolution wurde das schon gekippt und fünf Jahre später hat das immer noch niemand weggemacht.

Und jetzt?

Sachmal Xenia, wir haben hier grade irgendwie eine Pandemie, die Welt steht Kopf und du meckerst, weil irgendwer irgendeinen Beschluss nicht umsetzen will, gibts denn nichts Wichtigeres grade? Naja, entgegen anderlsautender Gerüchte haben Menschen, auch wenn sie trans sind, Rechte. Unabhängig davon, ob grade eine Pandemie ist oder eine Sonnenfinsternis oder Alieninvasion. Die werden ständig und immer und viel zu oft versprochen, und dann nicht vernünftig oder einfach gar nicht umgesetzt. Zudem wäre es verdammt schön, wenn unsere Regierung wenigstens dazu in der Lage wäre, Dinge, für die sie selbst im Europarat gestimmt hat, dann auch hier umzusetzen. Dinge, von denen sie anderen Staaten gegenüber vertreten hast, dass sie wichtig umzusetzen sind, auch mal selber machen? Quasi Versprechen einlösen? Ist das denn bitte zu viel verlangt? Das Transsexuellengesetz muss wirklich brennen, dass wir leben können. Wäre ja schön, wenn wir sonst nix anzünden müssen, bevor sich da was tut. Xenia ist nicht unbedingt geneigt, zu widersprechen, wenn diese Position als aggressiv gesehen wird.

Aber auch hier gilt. Abgeordnete und Minister*innen werden sich nicht ewig dem, was bisher erreicht ist, verstecken können. Genauso wenig kann diese Resolution ewig verstauben, ohne, dass sich wer wirklich kümmert. Wir werden zu unseren Rechten kommen, Stück für Stück. Oft viel zu langsam, oft werden wir noch zuschauen, wie sich Menschen feiern, wenn sie sich Millimeter bewegt haben, statt einfach einen ordentlichen Schritt zu machen.

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Eine Antwort

  1. 1. Juni 2020

    […] zur rechtlichen Lage von queeren Menschen in Deutschland zu sagen – Xenia hat deswegen gleich zwei Blogposts geschrieben und rechnet mit der deutschen Politik und Rechtssprechung ab. Außerdem im […]