Into your arms (3/3)
Zu Teil 1 der Geschichte
Zu Teil 2 der Geschichte
„Sag mal, warum weichst du mir eigentlich die ganze Zeit aus?“ Kevins Frage erwischt mich eiskalt. Dabei war irgendwie zu erwarten, dass mein bester Freund auf Dauer merkt, dass ich mich anders verhalte als sonst. Weil ich verliebt bin, in ihn. Aber Angst habe, was zwischen uns kaputt zu machen.
Seltsam eigentlich, dass wir über Kevins Orientierung noch nie gesprochen haben. Jedenfalls nicht konkret. Aber okay, ich habe ja auch lange nichts gesagt. Nicht, bevor irgendeine Fremde mir ihre Handynummer in die Hand drückte und alle begeistert waren außer ich selbst. Bevor ich mich in meinen besten Freund verliebt habe. Ich hätte fragen können, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, mit meinem eigenen Spiegelbild zu streiten, welches Label ihm denn nun am besten steht. Und jetzt sage ich immer noch nichts. Haha, super machst du das, Lukas…
Um unter Beweis zu stellen, dass ich Kevin nicht aus dem Weg gehe, weiche ich erstmal seinem Blick aus. Doch damit lässt er sich nicht abwimmeln. „Ist irgendwas? Dann lass uns doch drüber reden.“ Er schaut mich hoffnungsvoll an, aber ich kann ihm gerade einfach nicht in die Augen schauen. „Nicht jetzt, Kevin. Nicht hier“, sage ich und deute auf die Leute, die um uns herum Richtung Pausenhof strömen. Und auch sonst am liebsten niemals, nirgendwo, füge ich in Gedanken hinzu. Total zielsichere Methode, dafür zu sorgen, dass er sich in mich verliebt oder zumindest diese Freundschaft nicht draufgeht. Haha. Scheiße.
Kevin hat immer hinter mir gestanden. Er hat mich damals gegen den schwulenfeindlichen Kommentar von Johannes verteidigt. Diese Freundschaft wird nicht an der Offenbarung zerbrechen, dass ich homo bin. Ich erwarte von ihm auch keinen Kommentar vom Typ „Bedeutet das, dass du auf mich stehst?!“ Wobei mir das gerade ehrlich gesagt sogar ganz lieb wäre. Dann könnte ich einfach „Ja“ sagen. Einfach, haha.
Aber dann wird er wie Julie und so ungefähr jede andere Person an Sex denken. Und sich für den Fall, dass ein Wunder geschehen sein und er irgendwie auch Gefühle für mich entwickelt haben sollte, darauf freuen. Und dann werde ich ihn enttäuschen müssen. Ich werde ihm das Herz brechen und unsere Freundschaft wird zerbrechen und… Ich schlucke schwer. Was mach ich denn jetzt?! Bis vor kurzem kannte nicht einmal ich selbst den Begriff „asexuell“ – ob er da schon mal von gehört hat? Panik wallt in mir hoch. Bevor sie komplett von mir Besitz ergreift, übernimmt meine Stimme heiser und ohne mich zu fragen die Flucht nach vorn: „Wir treffen uns nach der Schule bei mir, okay?“
*
„Komm mal mit, ich muss dir was zeigen“, sage ich und schleppe Kevin zu meinem Schlagzeug. Haha, als ob. Klar, als Musiker kannst du immer sagen, du hast da mal ein neues Musikstück improvisiert und weißt noch nicht so genau, was sich daraus machen lässt. In Wahrheit brauche ich das Schlagzeugspielen gerade, um runter zu kommen. Bevor ich ihm sagen kann, was mir in den letzten zwei Monaten bewusst geworden ist. Dass er inzwischen noch etwas anderes für mich ist als mein bester Freund. Dass ich mich in ihn verliebt habe. Dass ich gerne mit ihm kuscheln würde, auch, wenn ich gerade kein Heimweh habe. Dass ich seine Hand halten möchte, wenn Johannes es nicht sieht. Dass ich mich frage, wie es sich anfühlt, ihn zu küssen. Und, dass das alles definitiv nicht bedeutet, dass ich mit ihm schlafen will.
Irgendwie kriege ich es hin, tatsächlich irgendwas auf dem Schlagzeug zusammenzutrommeln, was sich nicht völlig furchtbar anhört. Meine Anspannung raus zu drummen und in der Musik zurückzulassen. „Ich nenne es…“, sage ich schließlich, drehe mich die Drumsticks beiseite legend zu Kevin um und mache ein ernstes Gesicht, „Das Herzklopfen und das Gedankenchaos eines jungen Schlagzeugers, der sich in seinen besten Freund verliebt hat, von dem er weiß, dass er nichts gegen Schwule hat, sich aber trotzdem nicht traut, was zu sagen, weil er gleichzeitig asexuell ist und Angst hat, dass eine Liebeserklärung falsch rüberkommen würde.“ „Wow“, sagt Kevin etwas überrumpelt. Und dann: „Äh, was? Kannst du das nochmal langsam sagen?“ Ich fühle ein leichtes Stechen irgendwo zwischen Herz und Magen bei der Feststellung, dass er natürlich nicht einfach sofort kapiert hat, was ich damit sagen will. „Vergiss es“, sage ich, „War eh nicht wichtig.“ SAG ES IHM, LOS! WENN NICHT JETZT, WANN DANN? Ich hole tief Luft, versuche, das Gefühl wieder einzufangen, das ich gerade beim Schlagzeug spielen hatte. „Also, das was ich gerade gespielt habe. Das war nicht wichtig. Aber ich muss dir was Wichtiges sagen.“ Mein Blick sucht Halt in seinen tiefbraunen Augen, die ich schon tausendmal gesehen haben, die mir aber noch nie dieses Gefühl gegeben haben wie jetzt. Plötzlich fühlt es sich wie die selbstverständlichste Sache der Welt an, ihm zu sagen, was ich für ihn empfinde. Als wäre es gar keine Frage, dass wir zusammen gehören. Dass ich mich in seinen Augen verlieren und seine Lippen auf meinen spüren möchte. „Ich liebe dich“, flüstere ich. Und damit ist der Damm endgültig gebrochen. Glücksgefühle und Nervosität durchfluten mich. „Ich liebe dich, Kevin“, sage ich noch einmal, lauter und sicherer diesmal. Bevor mich der Mut wieder verlässt, füge ich schnell hinzu: „Also, so richtig. Nicht nur als besten Freund. Auf die Ich-wünschte- wir-wären-zusammen-Art. Und außerdem bin ich asexuell und werde vermutlich niemals mit dir schlafen wollen.“ Verliebtheit und Angst schlagen hohe Wellen in mir und liefern sich einen erbitterten Kampf darum, welches Gefühl die Oberhand behalten darf. Währenddessen schaue ich Kevin weiter in die Augen, halte seinem Blick stand und den Wunsch zurück, mich ihm jetzt einfach um den Hals zu werfen und ihn zu küssen. Ewigkeiten scheinen zu vergehen, bis er antwortet, dabei können es in Wahrheit nur wenige Sekunden gewesen sein. „Scheiße, Mann.“ Oh-o. Super. Dann habe ich also gerade die beste Freundschaft ruiniert, die ich jemals hatte. Die Gefühlsstürme in mir brechen ab und lassen nur noch Raum für Trauer und bodenlose Leere, in die ich zu stürzen drohe.
Doch Kevin ist noch nicht fertig mit seiner Antwort. „Scheiße, Mann“, wiederholt er, „Ich hab so gehofft, dass du das irgendwann mal sagen würdest.“ Vor Überraschung fange ich an zu lachen. „Wie bitte?!“ „Na ja. Genau das will ich dir auch schon seit einer Weile sagen. Aber ich hab’s einfach nicht hinbekommen. Schließlich kennen wir uns seit ungefähr hundert Jahren und Typen wollen doch angeblich immer…“ „Ich will jetzt vor allem eins“, unterbreche ich seine Erklärung. Die Gefühlswogen in mir sind wieder losgebrochen, allerdings ist die Nervosität komplett verschwunden und das Glücksgefühl hat sich dafür in etwa verdoppelt. Kevin sagt nichts mehr, beantwortet nur mit den Augen meine letzte, unausgesprochene Frage. Und dann, endlich, berühren sich unsere Lippen. Ich kann dieses Gefühl nicht wirklich beschreiben, aber es ist wunderschön. Wie von ihm in den Arm genommen werden in noch viel intensiver. Nach einer Weile lösen wir uns voneinander. „Ich liebe dich auch, mein kleiner Rockstar“, sagt Kevin und zieht mich sanft an sich.
2 Antworten
[…] „Ich glaube,…“ Wie so oft stocke ich. Verdammt, warum kann ich nicht einmal ‘nen geraden Satz zu Ende bringen!? Ah, vielleicht weil mein Herz rast, als wolle es einen Marathon gewinnen, und meine Hände ganz klebrig sind vom Schweiß. „Was glaubst du?“ Es ist Wochenende und Julie sitzt neben mir auf dem Bett, im Schneidersitz lässig an die Wand gelehnt. „Blubb“, sage ich. Julie bricht in Lachen aus, fängt sich aber sofort wieder. „Komm schon, Luke. Spuck’s aus.“ Wenn mein Mund ja nicht so trocken wäre, könnte ich auch spucken. So hängen die Worte in meiner Kehle fest, wollen unbedingt raus, verkeilen sich in der Eile aber so ineinander, dass sie stecken bleiben. Ich atme ein paarmal tief durch, versuche, den Knoten in mir zu lösen. Eine unangenehme Pause entsteht, die das alles nicht gerade leichter macht. Julie schaut mich unverwandt an. Schließlich platzt der Knoten in mir und meine Antwort geradezu aus mir heraus: „Ich glaube, ich hab mich in Kevin verliebt.“ „Oh“, sagt Julie erfreulich unschockiert. „Dann werden die nächsten Übernachtungspartys ja heiß!“ „Hä?“ „Najaaa…“ Julie grinst, „…wenn ihr beide…“ Sie lässt den unbeendeten Satz bedeutungsschwer im Raum stehen und mein rasendes Herz knallt in vollem Lauf dagegen. Nur, um dann noch panischer in meiner Brust herumzuspringen, als hätte es sich den kleinen Zeh gestoßen. Das meinte ich doch gar nicht! Wird Kevin das auch denken? Ah, natürlich wird er das auch denken. Ich hab ihm ja schließlich nie von meinen Gesprächen mit meinem Spiegelbild erzählt. Graaaaaaaaaaargh! „Scheiße.“ „Hä?“, fragt nun ihrerseits Julie. Und dann geht es nicht mehr anders. Ich muss aussprechen, was ich nicht aussprechen kann, was ich eigentlich nicht einmal Kevin oder ihr sagen kann: „Na, wenn du schon so anfängst, wird er auch denken, dass ich Sex von ihm will. Aber das will ich doch gar nicht. Ich hab noch nie von irgendwem Sex gewollt, ganz egal, welches Geschlecht. Das mit Kevin, das fühlt sich jetzt anders an als die letzten zehn, zwölf Jahre. Aber ich will nicht mit ihm schlafen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass ich das jemals wollen werde, selbst wenn wir zusammen wären. Und es stresst mich, dass er das erwarten könnte.“ Puh. Das Geständnis ist draußen und ich lasse mich erschöpft neben Julie auf Bett fallen. „Du bist also asexuell?“ Es dauert einen Moment, bis die Reaktion meiner besten Freundin bei mir angekommen ist. „Den Begriff hast du doch gerade erfunden, oder?“, frage ich dann und schaue skeptisch zu ihr rüber. „Nope. Da waren andere Menschen so hundert bis zweihundert Jahre schneller als ich.“ Meine Augen weiten sich ungläubig. Bin ich also doch nicht kaputt und der einzige, dem es so geht?! Einen Moment zögere ich noch und warte, ob Julie nicht doch noch „April, April!“ schreit. Doch da kommt nichts. Und dann kommt da doch etwas, aber nicht von ihr, sondern von mir. Plötzlich sind da Tränen, die unaufhaltsam meine Wangen hinunter strömen. Nicht vor Verzweiflung, sondern vor Erleichterung. Dankbar falle ich ihr um den Hals. „Du bist die Beste, Julie!“ „Weiß ich doch“, grinst sie, aber ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie das nicht arrogant meint. Vermutlich ist sie ein wenig überfordert damit, dass ich plötzlich heulend in ihren Armen liege. Aber sie versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Mit der Zeit versiegen die Tränen ohnehin und machen Platz für ein weites, glückliches Lächeln. „Sorry für den Kommentar eben“, sagt Julie schließlich. „Schon okay. I guess.“ „Ich achte in Zukunft drauf, dass sowas nicht nochmal vorkommt. Versprochen. Und wenn du magst, komm doch in den nächsten Ferien mal zu mir. Meine Freundin Sophie nimmt dich sicher gerne mal mit zum Asexy-Stammtisch bei uns um die Ecke.“ Ah, daher kennt sie das Wort also! „Gerne“, antworte ich ohne zu zögern. Falls das möglich ist, wird mein Lächeln noch breiter. Ich kann es immer noch kaum glauben: Julie hält mich nicht für komplett gestört – sie kennt sogar noch andere Menschen, die so sind wie ich, und die ich bald treffen kann!Zu Teil 3 der Geschichte […]
[…] „Sag mal…Glaubst du das?“, sprudelt es aus mir heraus, als wir unsere Taschen in die Ecke des Hostelzimmers geworfen haben und uns auf dem Bett fläzen. „Was, dass es in London immer nur regnet? Ach, das ist nur so’n Klischee. Wie, dass es in Hamburg immer regnet“, meint Kevin. Dann überlegt er einen Moment und setzt hinzu: „Wobei es bisher tatsächlich jedes Mal geregnet hat, wenn ich in Hamburg war.“ Ich verdrehe die Augen. Redet er jetzt ernsthaft übers Wetter? „Nee. Dass ich schwul bin.“ Kevin schaut mir ins Gesicht, aufmerksam, vielleicht eine Spur überrascht, aber nicht ablehnend. Nicht, als würde er denken, dass ich kaputt bin oder falsch. Mir fällt ein Stein vom Herzen. „Genau genommen kannst das ja nur du selbst wissen“, sagt er dann, gerade rechtzeitig, bevor sein auf mir ruhender Blick mir unangenehm werden könnte, „Denkst du, dass du schwul bist? Also…naja, du weißt schon. Stehst du auf Jungs?“ Irgendwo in mir knallt der Stein, der mir gerade vom Herzen gefallen ist, hart auf den Boden der Realität. Klar, was soll er auch sonst fragen. Außer genau dieser Frage, die ich nicht beantworten kann, nicht wirklich jedenfalls. „Ich…“ Komm schon, denke ich, Kevin ist dein bester Freund! Wer wenn nicht ihm solltest du sagen, was du fühlst? Oder besser gesagt nicht fühlst? „Ich…“ Erneut stocke ich. Dann atme ich tief durch und kann mich tatsächlich dazu bringen, zu sagen: „Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich diese Elisa, die alle so toll fanden, garantiert nicht anrufen werde. Sie interessiert mich einfach null. Eigentlich hat mich noch nie irgendein Mädchen ernsthaft interessiert.“ „Kann ja noch kommen“, meint Kevin vorsichtig. „Muss natürlich nicht“, setzt er dann schnell hinzu. „Also, kann schon sein, dass du schwul bist. Das kann ich dir nicht sagen. Aber wenn Johannes das nächste Mal Sprüche reißt, kriegt er auf’s Maul!“ Ich lache. „Danke, Alter.“ „Dafür sind Freunde doch da“, sagt Kevin und boxt mir freundschaftlich gegen die Schulter. Dann schaut er auf die Uhr, die zwischen den Betten an der Wand hängt. „Verdammt, jetzt sollten wir uns aber echt beeilen. Sonst kommen wir zu spät zum Abendessen!“Zu Teil 2 der GeschichteZu Teil 3 der Geschichte […]